Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
guten Teil ihres Lohns verschlingen mussten. Als er protestierte, die Geschenke seien viel zu gut für ihn, tat sie, als wisse sie nichts davon. Für Andras war die schlichte Vertraulichkeit von Debrecen eine Wohltat. Er freute sich, mit seinem Freund und seiner Frau durch die alten Viertel laufen zu können, ihnen Gebäck aus demselben Laden zu spendieren, wo er als Kind sein Kleingeld ausgegeben hatte, Klara das jüdische Gimnázium und die Rollschuhbahn zu zeigen, die im Winter zur Schlittschuhbahn wurde. Andras’ Körper wurde wieder kräftiger, seine Zähne saßen wieder fest im Kiefer. Die Blutergüsse unter seiner Haut lösten sich langsam auf.
In den ersten Tagen hatte er quälende Hemmungen, was Klara betraf. Er konnte es nicht ertragen, ihr seinen Körper in diesem geschwächten Zustand zu zeigen, und er bezweifelte, dass er den Anforderungen des Liebesspiels gewachsen wäre. Doch er war ein fünfundzwanzigjähriger Mann und sie die Frau, die er liebte; es dauerte nicht lange, bis er auf der dünnen Matratze in dem kleinen Nebenzimmer, wo seine Mutter ihre Näharbeiten erledigte, zu Klara hinüberrückte. Sie waren umgeben von Kleidungsstücken, die seine Mutter flickte oder fertigte, um sie Andras mitzugeben oder sie seinen Brüdern in ihren Arbeitsdienstkompanien zu schicken. Das Zimmer roch nach gewaschener Baumwolle und der heißen Süße des Bügeleisens. An diesem lauschigen Ort, in ihrem zweiten Ehebett, tastete Andras nach Klara, und sie kam in seine Arme. Er konnte kaum glauben, dass sie als körperliches Wesen immer noch existierte, dass er die Bereiche von ihr wiedererleben durfte, die er in jenen achtzehn Monaten wie einen Talisman im Kopf gehabt hatte: ihre kleinen hohen Brüste, die silbrig weiße Narbe auf ihrem Bauch, die beiden Gipfel ihrer Hüften. Als sie sich liebten, ließ sie die Augen offen und schaute tief in seine. Im schwachen Licht, das durch das abgehängte Fenster fiel, konnte er ihre Augenfarbe nicht erkennen, doch er sah die durchdringende Intensität, die er kannte und liebte. Zuweilen rangen sie miteinander wie erbitterte Feinde; ein Teil von Andras wollte Klara fast für die Sehnsucht bestrafen, die sie in ihm ausgelöst hatte. Sie schien das zu verstehen und setzte seiner Wut ihre eigene entgegen. Als er schließlich auf ihr zusammenbrach, sein Herz gegen ihre Brust schlug, da wusste er, dass sie über die Entfernung, die durch die lange Trennung zwischen ihnen entstanden war, wieder zueinanderfinden würden.
Zum Ende der Woche in Debrecen veränderte sich kaum merklich das Verhältnis zwischen Andras’ Mutter und Klara. Beim Essen tauschten sie wissende Blicke aus; seine Mutter bestand darauf, dass Klara sie auf den Markt begleitete, und hatte sie gebeten, die Matzeknödel für das Pessach-Seder zuzubereiten. Die Matzeknödel waren der Höhepunkt des Essens, sie wurde noch stärker herbeigesehnt als die gebratenen Hähnchenschnitzel, die Kartoffelkugl und der gefilte Fisch, den Andras’ Mutter immer aus einem Karpfen bereitete, der in Konyár in einer großen Zinkwanne in der Sommerküche aufbewahrt wurde, doch in Debrecen gezwungen war, für alle sichtbar im Hof zu wohnen. Zwei Kinder, ein Mädchen und sein Bruder, hatten sich mit dem Fisch angefreundet und ihn mit Brotkrumen gefüttert, wenn sie von der Schule heimkamen; als er verschwand, um zum zweiten Gang des Sedermahls zu werden, erzählte Andras den beiden, er hätte den Karpfen in den Stadtpark gebracht und freigelassen, was ihm die ewige Feindschaft der Kinder einbrachte – obwohl er darauf beharrte, der Karpfen selbst habe es gewollt, habe ihm seine Bitte in Karpatisch zugeflüstert, einer Sprache, die Andras behauptete, beim Munkaszolgálat gelernt zu haben. Das Matzeknödelrezept seiner Mutter war in einem Gespinst aus schwarzer Tinte auf ein heilig wirkendes Blatt geschrieben, bei dem es sich nur um Pergament handeln konnte. Es hatte Flóras Urgroßmutter Rifka gehört und war Flóra an ihrem Hochzeitstag in einem kleinen Silberkästchen vermacht worden, das mit dem jiddischen Wort Knaidlach versehen war.
Als Andras eines Nachmittags von einem Spaziergang mit Mendel zurückkam, fand er seine Mutter und Klara in der Küche vor, das Silberkästchen geöffnet auf dem Tisch, das wertvolle Rezept in Klaras Händen. Ihr Haar war zurückgebunden unter einem Kopftuch, sie trug eine mit Erdbeeren bestickte Schürze; ihre Haut leuchtete von der Hitze der Küche. Sie las die spinnwebartige Schrift mit
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