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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Hoch die Tassen! Auf dass wir alle dem Tod hundertmal von der Schippe springen!«
    Darauf tranken sie. Dann zogen sich Andras und sein Vater an einen Tisch in einer dunklen Nische zurück, über ihnen ein im Geheul erstarrter Wolfskopf. Das ausgestopfte Tier jagte Andras einen Schauer über den Rücken. Im Winter in Transsilvanien hatte er nachts Wölfe heulen hören und sich ihre gelben Zähne und ihr silbriges Fell vorgestellt. Es hatte Zeiten gegeben, da war er so verzweifelt, dass er sich ihnen hatte stellen wollen. Als rufe er sich in Erinnerung, dass er auf Heimaturlaub war, griff er in seine Tasche und betastete die Uhr seines Vaters; er hatte sie bei Klara gelassen, als er zum Munkaszolgálat gegangen war. Jetzt holte er sie heraus und zeigte sie ihm.
    »Das ist eine gute Uhr«, sagte Béla und drehte sie in seiner Hand. »Eine großartige Uhr.«
    »Immer wenn ich in Paris in der Klemme saß«, sagte Andras, »habe ich sie herausgeholt und überlegt, was du tun wür- dest.«
    Sein Vater lächelte ihn wehmütig an. »Ich wette, du hast nicht immer das getan, was ich gemacht hätte.«
    »Nicht immer«, gestand Andras.
    »Du bist ein guter Junge«, sagte sein Vater. »Ein rücksichtsvoller Junge. In deinen Briefen vom Musz schreibst du immer ganz zuversichtlich, damit deine Mutter nicht verzagt. Aber ich weiß, dass es viel schlimmer ist, als du erzählst. Sieh dich nur an. Sie haben dich fast umgebracht.«
    »So schlimm ist es nicht«, gab Andras zurück und spürte dabei, dass es stimmte. Es war schließlich nur Arbeit; er hatte sein ganzes Leben lang gearbeitet. »Wir haben zu essen«, sagte er. »Wir bekommen Kleidung und Stiefel. Wir haben ein Dach über dem Kopf.«
    »Aber du hast die Hochschule verlassen müssen. Daran muss ich jeden Tag denken.«
    »Irgendwann gehe ich zurück«, sagte Andras.
    »Wohin? Frankreich existiert nicht mehr, jedenfalls nicht für Juden. Und dieses Land …« Ungläubig und angewidert schüttelte er den Kopf. »Aber du wirst schon eine Möglichkeit finden, zu Ende zu studieren. Das musst du. Ich möchte nicht, dass du das Studium an den Nagel hängst.«
    Andras wusste, an was sein Vater dachte. »Du hast dein Studium nicht an den Nagel gehängt«, sagte er. »Du hast Prag verlassen, weil du musstest.«
    »Aber ich bin nicht zurückgekehrt, oder?«
    »Du hattest keine große Wahl.« Andras sah keinen Sinn darin, dieses Gesprächsthema weiterzuverfolgen; er hatte im Moment keine Möglichkeit, seine Situation zu ändern, und das wusste sein Vater genauso gut wie er. Die Vorstellung, dass fast zwei Jahre vergangen waren, seit er auf der École Spéciale gewesen war, gab ihm das Gefühl, von einem großen, schweren Gewicht niedergedrückt zu werden. Er schaute auf und sah eine Gruppe von Männern, die die Sportseite der Pesti Hírlap vor sich hatten und diskutierten, welcher Ringer am Abend das Turnier im Nationalen Sportclub gewinnen würde. Keinen der Namen hatte Andras je gehört.
    »Es tut dir bestimmt gut, Klara zu sehen«, sagte sein Vater. »Es ist schwer, so lange von der Frau getrennt zu sein. Sie ist ein nettes Mädchen, deine Klara.« Doch Andras erhaschte denselben Blick, den er zuvor im Gesicht seiner Mutter gesehen hatte, ein Schatten des Zögerns, der Zurückhaltung.
    »Ich hätte mich gefreut, wenn ihr Klara geschrieben hättet. Wegen des Umzugs«, sagte Andras. »Sie wäre helfen gekommen.«
    »Das Küchenmädchen deiner Mutter hat geholfen. Sie war dankbar für die zusätzliche Arbeit.«
    »Klara gehört zu unserer Familie, Apa.«
    Sein Vater schob die Lippen vor und zuckte mit den Schultern. »Warum sollen wir sie mit unseren Problemen belästigen?«
    Andras wollte nicht aussprechen, was ihm durch den Kopf gegangen war, als sein Vater die Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit geschildert hatte: Es wäre besser gewesen, wenn Klara den Verkauf des Sägewerks in die Hand genommen hätte; Andras war sicher, dass sie einen höheren Preis verlangt und auch bekommen hätte. Doch so eine Verhandlung, die in Paris ohne das geringste Aufsehen vonstattengegangen wäre, wäre in Konyár undenkbar gewesen; hier in der Hajduken-Ebene schacherten Frauen nicht mit Männern um Grundbesitz. »Klara ist harte Arbeit gewohnt«, sagte Andras. »Sie musste seit ihrem sechzehnten Lebensjahr für sich selbst sorgen. Überhaupt seid Anya und du für sie wie ihre eigenen Eltern.«
    »Na, das ist aber eine drollige Vorstellung«, sagte Béla kopfschüttelnd. »Vergiss nicht, mein Junge,

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