Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
Ankunft eines Zuges in einer Stadt vorausgingen, dann von der Stadt Bánhida selbst mit ihrem gewundenen Straßengeflecht und ihren rot bedachten Häusern, und als der Zug sich dem Kraftwerk hinter einem Bahnhof näherte, von einer zunehmend unschönen Aussicht auf unbefestigte Wege, Lagerhäuser und Maschinenhallen. Schließlich erblickten sie das Werk selbst, ein Schlachtschiff mit drei Schornsteinen, aus denen Fahnen kastanienbraunen Rauchs in den blauen Frühlingshimmel quollen. Kreischend kam der Zug auf einem Rangierbahnhof inmitten Dutzender verrosteter Güterwaggons zum Stehen. Jenseits eines kahlen Feldes sah man Leichtbau-Baracken hinter einem Maschendrahtzaun. Noch weiter hinten schoben Männer kleine Kohlewagen zum Kraftwerk. Kein einziger Baum, kein Busch störte dieses Bild aus festgetrampeltem Schlamm. In der Ferne erhoben sich wie spöttisches Gesäusel die kühlen grünen Hügel des Geiß- und des Schildgebirges.
Wachen rissen die Türen der Waggons auf und trieben die Männer aus dem Zug. Auf dem kahlen Feld wurden die Neuankömmlinge von den Heimkehrern getrennt; die Heimkehrer wurden sofort an die Arbeit geschickt. Den übrigen Männern wurde befohlen, ihre Rucksäcke in den ihnen zugewiesenen Baracken abzulegen und sich dann auf dem Sammelplatz in der Mitte der Anlage zu melden. Die Leichtbau-Baracken von Bánhida sahen aus, als seien sie ohne jedes Prinzip gebaut worden, ausgenommen dem der Wirtschaftlichkeit; die Baustoffe waren billig, die wenigen Fenster hoch und klein. Beim Eintreten hatte Andras das Gefühl, lebendig begraben zu werden. Mendel und er sicherten sich Feldbetten am Ende eines Ganges, was den Vorteil bot, eine Wand zu haben. Dann folgten sie ihren Kameraden hinaus auf den Sammelplatz, ein weitläufiges, verschlammtes Viereck.
Zwei Feldwebel stellten die Männer in Zehnerreihen auf; an jenem Tag gab es fünfzig Neuzugänge im Arbeitslager Bánhida. Man befahl ihnen, strammzustehen und auf Major Barna zu warten, den Kommandeur, der sie inspizieren würde. Dann würden sie in Arbeitsgruppen eingeteilt, und ihr neuer Dienst würde beginnen. Fast eine Stunde standen sie im Schlamm, schwiegen, lauschten den fernen Befehlen von Vorarbeitern, dem elektrischen Wummern des Kraftwerks und dem Geräusch von Metallrädern auf Schienen. Schließlich trat ihr neuer Kommandeur aus einem Verwaltungsgebäude, die Mütze mit einer goldenen Tresse verziert, an den Füßen zwei glänzende Stiefel. Forsch schritt er durch die Reihen, begutachtete die Gesichter. Andras fand, dass er einer Schulbuch-Illustration von Napoleon ähnelte: dunkelhaarig und untersetzt, den Rücken durchgedrückt, der Blick ernst und gebieterisch. Bei seinem zweiten Gang durch Andras’ Reihe blieb er vor ihm stehen und forderte ihn auf, seinen Dienstgrad zu nennen.
Andras salutierte. »Gruppenführer, Herr Major.«
»Wie bitte?«
»Gruppenführer«, wiederholte Andras, diesmal lauter. Manche Kommandeure verlangten von den Männern, fast schreiend zu antworten, als wären sie bei der echten Armee und nicht beim Arbeitsdienst. Andras fand das immer besonders deprimierend. Major Barna befahl ihm, aus dem Glied zu treten und nach vorn zu kommen.
Er hasste es zu exerzieren. Er hasste es wie die Pest. Die Wochen zu Hause hatten in ihm das gefährliche Bewusstsein wiedererweckt, ein Mensch zu sein. Als er nach vorne trat, stand er zitternd und angespannt still, während Major Barna ihn musterte. Der Mann schien ihn mit einer angewiderten Faszination zu betrachten, als sei Andras eine Missgeburt in einem Monstrositätenkabinett. Dann holte er ein Taschenmesser mit Perlmuttgriff hervor und hielt es Andras unter die Nase. Andras schnupperte. Er befürchtete, niesen zu müssen. Er konnte das Metall der Klinge riechen. Er wusste nicht, was Barna vorhatte. Die kleinen dunklen Augen des Majors funkelten übermütig, als hätten Andras und er gemeinsam ausgeheckt, was als Nächstes passieren würde. Mit einem Blinzeln zog er sein Messer zurück, schob dessen Spitze unter das Offiziersabzeichen an Andras’ Mantel und schnitt ihm den Aufnäher mit wenigen schnellen Strichen von der Brust. Der Stoff fiel in den Schlamm; Barna drückte ihn mit dem Stiefel hinein, bis er nicht mehr zu sehen war. Dann legte er eine Hand auf Andras’ Kopf, auf die neue Mütze, die Klara ihm geschenkt hatte. Noch ein paar Schnitte mit dem Messer, und er hatte das Offiziersabzeichen auch von der Mütze entfernt.
»Was ist jetzt Ihr Dienstgrad,
Weitere Kostenlose Bücher