Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
nicht jetzt. Und es ist schwer vorstellbar, ein neues Leben in einem fremden Land zu beginnen.«
»Und die Reise«, sagte Andras und streichelte ihre feuchten Schultern. »Es ist nicht gerade sicher, während des Kriegs den Ozean zu überqueren.«
Klara schlang die Arme um die Knie und sagte: »Es ist nicht nur der Krieg, über den ich nachgedacht habe. Ich habe alle möglichen Zweifel.«
»Was denn für Zweifel?«
»Was für eine Mutter ich diesem Kind sein werde. Auf welche tausend Arten ich Elisabet im Stich gelassen habe.«
»Du hast Elisabet nicht im Stich gelassen. Aus ihr ist eine starke, schöne Frau geworden. Und du warst damals in einer anderen Situation. Du warst allein, und du warst selbst noch ein Kind.«
»Und jetzt bin ich praktisch eine alte Frau.«
»Das ist Unsinn, Klara.«
»Nicht so ganz.« Sie runzelte die Stirn. »Ich bin vierunddreißig. Beim letzten Mal hat mich die Geburt fast das Leben gekostet. Der Geburtshelfer meint, die Gebärmutter könnte beschädigt sein. Meine Mutter hat mich zu meinem letzten Termin begleitet, und jetzt wäre mir lieber, sie wäre nicht mitgekommen. Sie macht sich halb verrückt vor Sorge.«
»Warum, Klara? Besteht Gefahr für das Kind?« Er hob ihr Kinn an, sodass sie ihm in die Augen sehen musste. »Besteht Gefahr für dich?«
»Jeden Tag werden Kinder geboren«, sagte sie und versuchte zu lächeln.
»Was hat der Arzt gesagt?«
»Er sagt, es könnte Komplikationen geben. Er will, dass ich das Kind im Krankenhaus bekomme.«
»Aber sicher bekommst du es im Krankenhaus«, sagte Andras. »Egal, was es kostet. Das bezahlen wir schon irgendwie.«
»Mein Bruder würde helfen«, sagte sie.
»Ich besorge mir Arbeit«, sagte Andras. »Irgendwie kratzen wir das Geld zusammen.«
»György würde es uns gerne geben«, sagte Klara. »Genauso gerne wie deine eigenen Brüder.«
Andras wollte sich nicht streiten, nicht in der kurzen Zeit, die sie zusammen hatten. »Ich weiß, dass er helfen würde, wenn wir es wirklich brauchen«, sagte er. »Hoffen wir, dass wir ihn nicht fragen müssen.«
»Meine Mutter will, dass ich nach Hause in die Benczúr utca ziehe«, sagte Klara und drehte ihr nasses Haar zu einem Strang. »Sie kann nicht verstehen, warum ich unbedingt mit dir in unserer eigenen Wohnung leben will. Sie hält die Miete für eine unnötige Ausgabe. Und sie will nicht, dass ich allein bin. Was ist, wenn etwas passiert, sagt sie immer. Als hätte ich nicht die ganzen Jahre allein in Paris gelebt!«
»Deswegen möchte sie dich umso mehr schützen«, sagte Andras. »Es muss sie unheimlich gequält haben, nicht bei dir sein zu können, als du mit Elisabet schwanger warst.«
»Das verstehe ich natürlich. Aber ich bin kein fünfzehnjähriges Mädchen mehr.«
»Vielleicht hat sie trotzdem recht. Wenn es gefährlich wird, wäre es dann nicht besser für dich, zu Hause zu sein?«
»Nicht du auch noch, Andráska!«
»Ich stelle mir nicht gern vor, dass du allein bist.«
»Ich bin nicht allein. Ilana ist fast jeden Tag bei mir. Und zu Fuß bin ich in sechs Minuten bei meiner Mutter. Aber ich kann da nicht mehr wohnen, und nicht nur weil ich mich daran gewöhnt habe, allein zu leben. Was ist, wenn die Behörden herausfinden, wer ich bin? Wenn ich im Haus meiner Familie lebte, würden alle mit hineingezogen.«
»Ach, Klara! Wie sehr ich mir wünschte, dass du dir über so etwas keine Gedanken machen müsstest!«
»Und wie sehr ich mir wünschte, dass du es auch nicht müsstest«, sagte sie. Und dann stand sie in der Badewanne auf, und das Wasser fiel wie ein schimmernder Vorhang von ihrem Körper, und er folgte den neuen Rundungen mit den Händen.
Später am Abend, als er merkte, dass er nicht schlafen konnte, verließ er das Bett und ging ins Wohnzimmer, zu dem neuen Zeichentisch, den Klara ihm gekauft hatte; er fuhr mit den Händen über die glatte Oberfläche, frei von Papier und Zeichenutensilien. Es gab Zeiten, da hätte er sich mit Arbeit getröstet, und wenn es nur ein selbst erwähltes Projekt gewesen wäre; die starke Konzentration, die nötig war, um feine, gleichmäßige schwarze Linien zu zeichnen, konnte seinen Kopf von den schlimmsten Problemen ablenken, wenn auch nur für kurze Zeit. Doch bisher hatte er sich nie um das Schicksal seiner schwangeren Frau, seines ungeborenen Kindes und der gesamten westlichen Welt sorgen müssen. Es gab sowieso kein Projekt, das in Angriff zu nehmen er sich jetzt vorstellen konnte; wenn es um die Theorie und
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