Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
alles erträglicher und ihre Nachricht habe ihn glücklicher gemacht, als er sich jemals hätte vorstellen können.
Doch in jenem Herbst 1941 gab es kein Glück, das nicht von Sorgen getrübt wurde. Andras sah es in den kleinen Fältchen, die sich auf Ilanas Stirn gesammelt hatten. Er wusste, was diese Schwangerschaft nach der Fehlgeburt für sie bedeutete und welch schreckliche Angst sie um das Leben des Kindes hatte, auch wenn sie sich nicht mitten im Krieg befunden hätten. Andras hätte sie umarmt, wenn ihr Glaube es nicht verboten hätte. So musste er sich damit begnügen, ihr zu gratulieren und seinen sehnsüchtigen Wunsch auszudrücken, dass alles gut gehen würde. Dann erzählte er den beiden, dass er in der Straßenbahn Mátyás getroffen hatte.
»Na«, sagte Klara, »dann ist es ja gut, dass ich etwas mehr Gebäck zum Nachtisch gekauft habe. Sonst würde uns der kleine Ziegenbock die Haare vom Kopf fressen.«
Mátyás traf ein, als Klara nach dem Essen gerade das Gebäck im Wohnzimmer servierte. Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und nahm sich ein crèmegefülltes Millefeuille vom Silberteller. Ilana begrüßte er mit einer tiefen Verbeugung und einem Schwenker seines Huts.
»Dein Rendezvous muss erfolgreich gewesen sein«, sagte Andras. »Dein Gesicht brennt vor Lippenstift.«
»Das ist kein Lippenstift«, gab Mátyás zurück. »Das ist das Mal verdorbener Unschuld. Serafina ist viel zu profan für mich. Ich bin jetzt noch ganz rot wegen all der Sachen, die sie zum Abschied gesagt hat.«
»Wir werden nicht danach fragen«, sagte Klara.
»Ich würde es eh nicht verraten«, sagte Mátyás und zwinkerte ihr zu. Er schaute sich um und betrachtete die Möbel im Wohnzimmer. »Nette Bude«, sagte er. »Und das alles nur für euch zwei?«
»Bald für uns drei«, sagte Klara.
»Ja, sicher. Hätte ich fast vergessen. Andras wird ja Papa.«
»Und Tibor auch«, sagte Ilana.
»Gütiger Gott!«, sagte Mátyás. »Stimmt das? Ihr beide?«
»Das stimmt«, bestätigte Ilana und zeigte neckend mit dem Finger auf ihn. »Jetzt wollen deine Anya und dein Apa bestimmt, dass du auch bald heiratest, damit das Bild vollständig wird.«
»Ganz bestimmt nicht«, sagte Mátyás und zwinkerte erneut. Er kombinierte einige schnelle synkopierte Schritte auf dem Parkett im Wohnzimmer, dann tat er, als falle er über die Rückenlehne des Sofas, und landete aufrecht stehend neben dem Couchtisch. »Nun sag einer, ich hätte kein Talent«, forderte er die anderen heraus und kniete sich mit ausgestreckten Armen vor Klara. »Du solltest es wissen, Meisterin des Tanzes.«
»Wo ich herkomme, nennen wir das nicht Tanzen«, sagte Klara lächelnd.
»Und wie ist es hiermit?« Mátyás stand wieder auf und vollführte mit emporgestreckten Armen eine doppelte Pirouette. Doch am Ende verlor er das Gleichgewicht und musste sich am Kaminsims festhalten. Einen Moment lang stand er schwer atmend da und schüttelte den Kopf, als müsse er ihn vom Geist des Kreiselns befreien, und zum ersten Mal fiel Andras auf, wie erschöpft und ausgehungert sein Bruder aussah. Er fasste ihn bei der Schulter und führte ihn zu einem der gestreiften elfenbeinfarbenen Sessel.
»Setz dich erst mal hin«, sagte er. »Dann geht es dir besser, wenn du wieder aufstehst.«
»Gefällt dir mein Tanz nicht?«
»Im Moment nicht, Bruderherz.«
Klara stellte einen Teller Gebäck für Mátyás zusammen, und Andras schenkte ihm ein Glas Slivovitz ein. Eine Zeit lang saßen sie zusammen und unterhielten sich, als gäbe es nicht solche Dinge wie Krieg und Sorgen und den Arbeitsdienst. Andras achtete darauf, dass Kuchenteller und Kaffeetassen stets gefüllt waren. Ilana errötete ob seiner Aufmerksamkeit und protestierte, es sei nicht richtig, sich vom Bruder ihres Mannes bedienen zu lassen. Andras fand, dass sie noch nie so schön gewesen war. Ihre Haut schien wie die von Klara von innen zu leuchten. Ihr Haar war zwar unter einem Tuch verborgen, wie es für strenggläubige Ehefrauen vorgeschrieben war, doch sie hatte einen Stoff aus veilchenblauer, silbern durchwirkter Seide gewählt. Wenn sie über Mátyás’ Scherze lachte, flackerte in ihren tiefen schwarzbraunen Augen ein intelligentes Leuchten. Es war ein Wunder, sich zu vergegenwärtigen, dass dies dasselbe Mädchen war, das blass und verängstigt im Krankenhausbett in Paris gelegen hatte und mit vor Schmerz weißen Lippen aus der Narkose erwacht war.
Als sie mit dem Kaffee fertig waren, machten Andras und
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