Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
nächsten Nachmittag trat Andras durch die mit Goldschnörkeln verzierten Türen des Cafés und fand Mendel an seinem angestammten Tisch mit dem üblichen Notizblock vor ihm. Er setzte sich seinem Freund gegenüber, bestellte eine Tasse schwarzen Kaffee und machte ihm seinen Vorschlag.
Mendel verzog das V seiner Lippen zu einem kleinen O. »Ausgerechnet das Jüdische Journal «, sagte er.
»Was stimmt damit nicht?«
»Hast du’s in letzter Zeit mal gelesen?«
»Ich war in letzter Zeit rund um die Uhr Sklave von Tamás und Klara Lévi.«
»Da wird ständig dieselbe Kost aufgetischt, assimiliertes Geschwätz. Demnach müssen wir einfach nur auf die christlichen Aristokraten in der Regierung vertrauen, und alles wird gut. Wir sollen einfach weiterhin vor der Flagge salutieren und die Hymne singen, so als gäbe es keine antijüdische Gesetzgebung. In erster Linie seien wir Ungarn und dann Juden.«
»Nun, wir sind besser geschützt, wenn uns die Regierung in erster Linie als Magyaren sieht.«
»Aber das stimmt ja gerade nicht! Das muss ich dir doch nicht erzählen. Du hast gerade deinen Dienst im Munkaszolgálat abgeleistet. Für die Regierung sind wir Juden, schlicht und einfach.«
»Zumindest hält man uns für unverzichtbar.«
»Wie lange denn noch?«, fragte Mendel. »Wir können nicht für diese Zeitung arbeiten, Parisi. Wir sollten bei einem der linksgerichteten Blätter nach Arbeit suchen.«
»Da habe ich aber keine Beziehungen. Und ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich muss anfangen, meinen Sohn zu ernähren, solange ich nicht wieder eingezogen werde.«
»Wie kommst du auf die Idee, dass Eppler uns beide nehmen könnte?«
»Er erkennt gute Arbeit, wenn er sie vor sich hat. Sobald er etwas von dir liest, wird er dich engagieren.«
Mendel lachte halbherzig. »Das Jüdische Journal !«, sagte er. »Du willst mich wirklich dahinzerren und mir eine Arbeit verschaffen, ja?«
»Frigyes Eppler ist kein Konservativer, war er zumindest nicht, als ich ihn kannte. Wenn es je eine zionistische Zeitunggegeben hat , dann war das Vergangenheit und Zukunft . In jeder Ausgabe war irgendein romantischer Beitrag über Palästina und das Abenteuer der Emigration. Vielleicht erinnerst du dich auch noch an die Titelgeschichte vom Mai ’36. Da ging es um einen gewissen Läufer, der den Rekord brach und trotzdem nicht ins ungarische Olympiateam durfte, weil er Jude war. Eppler war derjenige, der die Geschichte damals vorantrieb. Wenn er jetzt beim Jüdischen Journal ist, dann nur, weil er dort etwas in Bewegung bringen will.«
»Also, meinetwegen«, sagte Mendel. »In Ordnung. Wir reden mit dem Mann.« Er klappte sein Notizbuch zu und zahlte die Rechnung, dann gingen sie gemeinsam zur Wesselényi utca.
In der Redaktionsetage des Journals fanden sie Frigyes Eppler im verglasten Büro des Chefredakteurs in ein lautstarkes Wortgefecht verwickelt; durch die Glasscheiben zur Nachrichtenredaktion konnte man sehen, wie die beiden Männer im Laufe ihrer Auseinandersetzung zahlreiche Gesten in die Luft malten. Seit Andras seinen ehemaligen Chef und Mentor zum letzten Mal gesehen hatte, war Eppler völlig kahl geworden und trug nun eine Hornbrille. Er war untersetzt und hatte runde Schultern, seine Hemdschöße besaßen die Angewohnheit, sich aus der Hose zu stehlen, und seine Krawatte trug oft die Spuren eines übereilten Mittagessens. Immer schien er auf der Suche nach seinem Hut, seinen Schlüsseln oder seinem Zigarettenetui zu sein. Doch in seiner redaktionellen Arbeit entging ihm nichts. Vergangenheit und Zukunft hatte unter Frigyes Eppler als Chefredakteur jedes Jahr internationale Auszeichnungen gewonnen. Der größte Triumph war für ihn immer, wenn er die jungen Männer und Frauen, die für ihn arbeiteten, anderweitig unterbringen konnte; seine Förderung von Andras beispielsweise war nur eine seiner zahlreichen großzügigen Taten, mit denen er die Karrieren seiner Autoren, Redakteure und Grafiker vorantrieb. Es hatte ihn nicht überrascht, als Andras das Studium an der École Spéciale angeboten wurde. Wie er Andras damals gesagt hatte, sei es immer sein Ziel gewesen, Mitarbeiter zu beschäftigen, die für eine bessere Arbeit kündigten, ehe er sie hinauswerfen musste.
Andras konnte nicht ausmachen, um was es bei dem Streit mit dem Chefredakteur ging, aber es lag auf der Hand, dass Eppler das Nachsehen hatte. Im Laufe des Wortwechsels nahmen seine Gesten an Umfang und seine Worte an Lautstärke zu; der Chefredakteur
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