Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
die Windel fest, wickelte den Kleinen in eine Decke und legte ihn Andras in die Arme. Der traute sich kaum zu atmen. Das Kind schien so gut wie nichts zu wiegen. Seine Augen waren geschlossen, die Haut durchscheinend, das Haar ein dunkler Wirbel auf seinem Kopf. Dies war sein Sohn, sein Sohn. Er war der Vater dieses Menschen. Andras legte seine Wange an die Rundung des Babykopfes.
»Sie können ihn zu Ihrer Frau bringen«, sagte Krisztina. »Wenn Sie schon mitten in der Nacht hier sind, können Sie sich auch nützlich machen.«
Andras nickte, unfähig, sich zu bewegen oder zu sprechen. In seinen Armen hielt er das, was ihm die Summe seines Lebens zu sein schien. Das Kind wand sich in der Decke, öffnete den Mund und stieß einen kräftigen, eintönigen Schrei aus.
»Er hat Hunger«, sagte die Krankenschwester. »Bringen Sie ihn besser zu ihr.«
Und so kam er zum ersten Mal den Bedürfnissen seines Sohnes nach: Er brachte ihn über die Station zu Klaras Bett. Beim nächsten Schrei des Kindes schlug Klara die Augen auf und stützte sich auf die Ellenbogen. Andras beugte sich über sie und legte ihr den Sohn in die Arme.
»Andráska«, sagte sie, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Träume ich?«
Er beugte sich vor und küsste sie. Er zitterte so heftig, dass er sich aufs Bett setzen musste. Er umarmte beide zugleich, Klara und das Baby, drückte sie, so fest er sich traute.
»Wie kann das sein?«, fragte sie. »Wie bist du hergekommen?«
Er lehnte sich gerade so weit zurück, dass er sie ansehen konnte. »Ein General hat mich in seinem Wagen mitgenommen.«
»Zieh mich nicht auf, Liebling! Ich habe einen Kaiserschnitt hinter mir.«
»Das meine ich völlig ernst. Irgendwann erzähle ich dir die Geschichte.«
»Ich hatte furchtbare Angst, dass dir etwas zugestoßen sein könnte«, sagte sie.
»Jetzt gibt es nichts mehr zu fürchten«, sagte Andras und streichelte ihr feuchtes Haar.
»Sieh dir diesen Jungen an«, sagte Klara. »Unser kleiner Sohn.« Sie schob die Decke tiefer, damit Andras das Gesicht des Säuglings betrachten konnte, seine gekrümmten Hände, die zarten Handgelenke.
»Unser Sohn.« Er schüttelte den Kopf, konnte es immer noch nicht glauben. »Ich habe ihn gesehen. Er war au naturel , als ich hereinkam.«
Das Kind drehte das Gesicht zu Klaras Brust und öffnete den Mund an ihrem Nachthemd. Sie knöpfte es auf und legte es zum Stillen an, streichelte dabei sein fedriges Haar. »Er sieht genauso aus wie du«, sagte sie, und wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen.
» Életem .« Mein Leben. »Fünf Wochen zu früh! Du musst große Angst gehabt haben.«
»Meine Mutter war bei mir. Sie hat mich persönlich zum Krankenhaus gebracht. Und dass du nun auch hier bist, wenn auch nur für kurze Zeit!«
»Ich muss nicht mehr nach Bánhida«, sagte Andras. »Mein Dienst ist vorbei.« Er konnte es selbst kaum glauben, doch es war so. Nichts konnte ihn dazu zwingen zurückzugehen. »Ich bleibe bei dir zu Hause«, erklärte er ihr. Und langsam wurde diese Wahrheit für ihn Wirklichkeit, als er mit Klara auf dem Bett im Gróf-Apponyi-Albert-Hospital saß und sie über dem glatten, daunigen Kopf ihres kleinen Sohnes lachten und weinten.
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31.
Tamás Lévi
SIE BENANNTEN DAS KIND NACH KLARAS VATER. Seine ersten Lebenswochen waren für Andras ein blauer Nebel: Zuerst die zehn Tage im Krankenhaus, in denen der Kleine Gewicht verlor, gegen seine Lungenentzündung kämpfte, beinahe starb und sich wieder erholte; dann die Heimkehr in die Wohnung auf der Nefelejcs utca, die ihnen gar nicht wie ihr Heim vorkam, so vollgestopft, wie sie mit Blumen, Geschenken und Besuchern war, die das Kind sehen wollten. Da war Klaras Mutter, unbeirrt und eifrig bemüht, aber unfähig, in irgendeiner Weise praktisch zu helfen, da ihre eigenen Kinder ausschließlich von Kindermädchen großgezogen worden waren; dann Andras’ Mutter, die wusste, wie man sich um die Bedürfnisse eines Säuglings kümmerte, aber die es auch wichtig fand, Klara zu zeigen, wie man eine Windel richtig feststeckte oder ein Kind dazu brachte, ein Bäuerchen zu machen, außerdem Ilana, inzwischen selbst im siebten Monat schwanger, die unablässig italienische Gerichte für Andras und Klara und die Gratulanten kochte. Dazu kam Mendel Horovitz, befreit vom Munkaszolgálat, der bis mitten in der Nacht in der Küche saß, Wodka trank und Andras aufforderte, das Auf und Ab des Vaterseins bis ins letzte Detail zu schildern. Und dann
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