Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
machte zwar ein triumphierendes Gesicht, näherte sich aber rückwärts der Tür seines eigenen Büros, als wolle er fliehen, sobald er sich den Sieg auf die Fahnen schreiben konnte. Schließlich flog die Tür auf, und der Chefredakteur trat ins Großraumbüro. Er rief seiner Sekretärin eine Anweisung zu, durchquerte den gesamten Redaktionsraum und verdrückte sich ins Treppenhaus, als hätte er Angst, Eppler könne ihm hinterherjagen. Der aufgebrachte, besiegte Eppler stand allein im leeren Büro und rieb sich mit beiden Händen den kahlen Kopf. Andras winkte ihm grüßend zu.
»Was ist denn noch?«, fragte Eppler, ohne Andras anzusehen. Als er ihn erkannte, stieß er einen Schrei aus und schlug die Hände auf die Brust, als müsse er darauf achten, dass sein Herz nicht herausfalle. »Lévi!«, rief er. »Andras Lévi! Was in Gottes Namen machen Sie denn hier?«
»Ich bin hier, um mit Ihnen zu sprechen, Eppler-úr.«
»Wie lange ist das her? Hundert Jahre? Tausend? Aber dieses Gesicht hätte ich überall erkannt. Womit verschwenden Sie denn heutzutage Ihre Zeit?«
»Mit nicht viel«, sagte Andras. »Das ist das Problem.«
»Na, ich hoffe, Sie sind nicht hier, weil Sie Arbeit suchen. Ich habe Sie vor langer Zeit hinausgeschickt in die Welt. Sind Sie noch kein Architekt?«
Andras schüttelte den Kopf. »Ich habe gerade einen zweijährigen Aufenthalt im Munkaszolgálat hinter mir. Dieser große Bursche hier ist ein alter Freund und Kamerad, Mendel Horovitz.«
Mendel verbeugte sich leicht und tippte sich grüßend an den Hut. Frigyes Eppler musterte ihn von oben bis unten. »Horovitz«, sagte er. »Irgendwo habe ich Ihr Bild schon mal gesehen.«
»Mendel hält den ungarischen Rekord über hundert Meter«, erklärte Andras.
»Genau! Gab es nicht vor ein paar Jahren irgendeinen Skandal mit Ihnen?«
»Skandal?« Mendel grinste auf seine schiefe Art. »Von mir aus gerne!«
»Er wurde 1936 nicht in die ungarische Olympiamannschaft aufgenommen«, sagte Andras. »Darüber gab es einen Beitrag in Vergangenheit und Zukunft . Haben Sie selbst redigiert.«
»Natürlich! Wie dumm von mir. Und Sie sind dieser Horovitz. Was haben Sie denn seither aus sich gemacht?«
»Bin leider in den Journalismus eingestiegen.«
»Na, ausgerechnet! Dann sind Sie also auch als Bittsteller hier?«
»Parisi und ich sind ein Gespann.«
»Meinen Sie Lévi? Ah, Sie nennen ihn Parisi wegen seines kurzen Aufenthalts an der École Spéciale. Den hat er mir zu verdanken, wissen Sie. Nicht dass er das je anerkennen würde. Er würde behaupten, er könne alles seinem eigenen Talent zuschreiben.«
»Na, er ist ja auch kein schlechter Zeichner. Ich hatte ihn für die von mir herausgegebene Zeitung engagiert.«
»Und was war das für eine Zeitung?«
Aus seiner Tasche zog Mendel einige eselsohrige Ausgaben der Stechfliege hervor. »Diese hier haben wir im Arbeitslager Bánhida rausgegeben. Leider habe ich keine Exemplare mehr von der, die wir in Kárpátalja und Transsilvanien gemacht haben, die war noch witziger. Genau genommen so witzig, dass wir wegen ihr aus der Kompanie geflogen sind. Vorher mussten wir buchstäblich unsere eigenen Worte essen. Jeder zwanzig Seiten.«
Zum ersten Mal wurde Frigyes Epplers Gesichtsausdruck ernst; nachdenklich betrachtete er Andras und Mendel, dann setzte er sich an den Schreibtisch des Chefredakteurs und blätterte die Stechfliege durch. Nachdem er eine Weile schweigend gelesen hatte, schaute er zu Mendel hoch und schmunzelte vor sich hin. »Ich erkenne Ihre Handschrift«, sagte er zu ihm. »Sie sind derjenige, der diese Lebemann-Kolumne für den Abendkurier verfasst hat. Ein kluges politisches Werkzeug, getarnt als harmloses Gerede eines jungen Taugenichts. Aber Sie waren ganz schön scharfzüngig, was?«
Mendel lächelte. »Wenn ich schlecht war.«
»Sagt mir eins«, sagte Eppler mit gesenkter Stimme. »Was genau wollt ihr hier? Diese Zeitung stellt nicht gerade die Speerspitze der Moderne dar, wisst ihr.«
»Bei allem Respekt, aber das könnten wir Sie auch fragen«, gab Mendel zurück.
Eppler massierte mit einer Hand die fahle Kuppel seines Schädels. »Ein Mann landet nicht immer dort, wo er hinmöchte«, sagte er. »Ich war eine Zeit lang bei der Pesti Napló , aber da wurden einige von uns entlassen. Ihr versteht schon, was ich meine.« Er stieß ein unglückliches Lachen aus, fast ein Pfeifen; Eppler war ein unverbesserlicher Raucher. »Zumindest musste ich nicht zum Munkaszolgálat. Ich kann
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