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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Anschließend nickte Lukás kurz und ging in eine Ecke des Hofs. Er nahm einen Schlüsselring von seinem Gürtel und sperrte die Holzhütte auf, in der die Spaten verwahrt wurden. Elfenbeinturm holte eine Schaufel heraus und begann, ein Loch an der Mauer zu graben. Andras schaute durch den Nebel seines Albtraumes zu, sah, wie andere Männer Elfenbeinturm bei dieser unbegreiflichen Aufgabe halfen. József stand schweigend mit offenem Mund da, bis ihn jemand von hinten anstieß; dann griff auch er zu einem Spaten und begann zu graben. Irgendjemand musste Andras auf die Füße geholfen haben. Er schwankte auf die Hütte zu, nahm die Schaufel, die Lukás ihm reichte, und machte sich neben József zu schaffen. Wie im Traum setzte er das Blatt in einem Winkel an und stieß es dann mit aller Kraft in den Boden. Die Erde war hart, dicht; die Erschütterung des Schaufelblatts strahlte über den Stiel bis in seine Knochen. Leise begann er, Worte auf Hebräisch vor sich hin zu murmeln: Er rettet dich aus der Schlinge des Jägers und aus allem Verderben. Er beschirmt dich mit seinen Flügeln. Du brauchst dich nicht vor der Pest zu fürchten, die im Finstern schleicht, noch vor der Seuche, die wütet am Mittag. Denn der Herr ist deine Zuflucht. Dir begegnet kein Unheil. Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen, sie tragen dich auf ihren Händen. Er kannte diese Worte aus dem 91. Psalm, der bei Beerdigungen rezitiert wurde. Er wusste, dass er ein Grab schaufelte. Aber er konnte sich nicht überzeugen, dass der tote Körper an der Mauer Mendel Horovitz gehörte, er konnte nicht glauben, dass dieser Mann, den er seit seiner Kindheit liebte, getötet worden war. Er konnte dieses betäubende Absolut nicht begreifen. Er konnte nicht atmen, konnte nicht denken. In seinem Kopf: der 91. Psalm, das Blitzen und Krachen der Schüsse, das Geräusch der Spaten in der kalten Erde.

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    35.
Die Tataren in Ungarn
    BEI TAGESANBRUCH WURDEN DIE MÄNNER begraben. Es war keine Zeit für Schiwa, nicht einmal, um die Toten zu waschen. Kozma hielt es schon für ein Entgegenkommen, dass er der 79/6 überhaupt gestattete, ihre Kameraden beizusetzen. Zum Ausgleich dafür strich er ihnen für den Rest der Woche ihre Suppenration. Die Tage vergingen in schweigendem Entsetzen, in bebender Fassungslosigkeit. Es war schlimm genug mitzubekommen, wie ältere Männer sich zu Tode schufteten oder an einer Krankheit starben, doch es war etwas ganz anderes zu sehen, wie junge Männer erschossen wurden. József Hász schien den größten Schock von allen zu haben, so als sei es neu für ihn, dass eine Tat von ihm, eine Vollstreckung seines Willens, verheerende Folgen für einen anderen Menschen haben konnte. Nach der ersten Woche, in der er wenig aß und noch weniger schlief, verblüffte er die Kompanie, indem er sich freiwillig für Mendels Aufgabe als zweiter Assistent des Vermessers meldete. Inzwischen hielt man diese Stellung für verflucht; niemand sonst wollte sie haben. Doch József schien sie als eine Art Sühne zu verstehen. Auf den Vermessungsgängen machte er sich zu Andras’ Diener. Wenn es schwere Ausrüstung zu tragen gab, übernahm er das. Er sammelte Holz, entfachte das Kochfeuer, gab seinen Anteil der Nahrungsmittel weiter, die der Vermesser zusammentrug. Der Vermesser, der gehört hatte, was mit Mendel Horovitz und László Goldfarb passiert war, akzeptierte Józsefs Knechtschaft mit stillem Ernst. Das Geschehene war lediglich eine weitere Abscheulichkeit des Munkaszolgálat, der nun zum zweiten Akt der emotionalen Folter dieses unerfahrenen jungen Mannes überging. Andras hingegen, zwei Jahrzehnte jünger als der Vermesser und immer noch fähig, angesichts menschlicher Selbstsucht und Grausamkeit zu staunen, weigerte sich, József zu vergeben, weigerte sich sogar, ihn überhaupt anzusehen. Jedes Mal, wenn József durch Andras’ Gesichtsfeld ging, tauchten dieselben Fragen in Andras’ Kopf auf: Warum war es Mendel gewesen und nicht József? Warum war nicht József in jener Nacht im Wald gewesen, sein Fuß in der Falle? Warum konnten sie nicht einfach die Plätze tauschen? Warum war jetzt nicht József unwiderruflich fort? Andras hatte geglaubt, Enttäuschung und Sinnlosigkeit seien ihm inzwischen vertraut; er meinte zu wissen, was Kummer bedeutete. Doch was er jetzt spürte, war schärfer als jede Enttäuschung, als jeder Schmerz, den er bisher gekannt hatte. Es schien dabei nicht nur um Mendel, sondern auch

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