Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
wie Du Dir vorstellen kannst. Du und Tamás, Ihr fehlt mir schrecklich, ich denke Tag und Nacht an Euch. Werde so bald wie möglich wieder schreiben. Voller Liebe, Dein A.
Er faltete den Brief und versteckte ihn in der Innentasche seiner Jacke. Am nächsten Tag legte er ihn in Erdős Hände. Es war unmöglich zu sagen, wann oder ob er überhaupt seinen Weg zu Klara finden würde, doch der Gedanke, dass es dem Brief irgendwann gelingen würde, war der erste Trost für Andras seit langer Zeit.
War Andras anfangs noch überrascht gewesen, dass die jungen Offiziersanwärter, die ihm beim Bühnenbau halfen, seine Anweisungen mit respektvoller Achtung entgegennahmen, so verblasste die Verwunderung schnell. Nach wenigen Wochen abendlichen Dienstes in der Offiziersschule erschien es ihm normal, sich wie ein Vorarbeiter zwischen ihnen zu bewegen und zu überprüfen, inwiefern sie sich an seine Vorgaben hielten. Zwischen ihnen gab es nur wenig Dünkel und wenige Formalitäten. Die Offiziersanwärter und die Arbeitsdienstler sprachen sich mit Vornamen an, schließlich sogar mit Spitznamen – Sanyi, Józska, Bandi. Sie durften nicht zusammen in der Offiziersmesse speisen, doch oft ging die Truppe mittags zur Hintertür der Küche und brachte Essen für alle mit. Sie verzehrten es auf der Bühne, im Schneidersitz inmitten der Bauwerke und halb fertigen Kulissen. Andras und József, gefangen in ihrem wortlosen Streit, nahmen nichtsdestoweniger an Gewicht zu, und die Bühnenbilder näherten sich ihrer Vollendung. Beide Männer warteten darauf, dass ihre Briefe beantwortet wurden. Jedes Mal, wenn Erdő den Versammlungssaal betrat, hofften sie, dass er sie zu sich ins Büro rufen und einen verschmierten Umschlag aus seiner Brusttasche ziehen würde. Doch die Wochen schleppten sich dahin, ohne dass eine Antwort kam. Erdő sagte ihnen, sie sollten Geduld haben; die Post sei notorisch langsam, und zwar noch langsamer, wenn die Grenze überwunden werden müsse.
Als die Aufführung von Die Tataren in Ungarn näher rückte, ohne dass ein Brief eintraf, wurde Andras halb verrückt vor Sorge. Er war überzeugt, dass Klara, György und Elza verhaftet und ins Gefängnis gesteckt worden waren und Tamás in die Hände von Fremden gegeben. Klara würde der Prozess gemacht, sie würde zum Tode verurteilt werden. Und er saß hier weit weg in der Falle und konnte nichts tun, gar nichts; und wenn das Theaterstück gelaufen war, würde er auch noch den Kontakt zu Erdő verlieren und damit die Möglichkeit, Nachrichten in die Heimat zu schicken oder zu empfangen.
Am 29. Oktober kam der neue ungarische Verteidigungsminister nach Turka. Es sollte eine offizielle Parade durch die Stadt geben. Alle Kompanien aus der Umgebung würden daran teilnehmen. Am Morgen ließ Major Kozma die Männer der 79/6 zum Dorfplatz marschieren und befahl ihnen, entlang der Westseite Aufstellung zu nehmen. Sie hatten den Befehl erhalten, sich zu waschen und ihre zerrissenen Uniformen für General Vilmos Nagys Besuch auszubessern; Faden und Flicken wurden zur Verfügung gestellt. Sie hatten ihr Bestes getan, sahen aber immer noch wie Vogelscheuchen aus. Der Straßenbau hatte ihre Jacken und Hosen verschlissen. Es war ihnen gelungen, einige zivile Kleidungsstücke von den Lumpensammlern auf dem Schwarzmarkt zu schnorren, doch sie konnten ihre unbrauchbaren Uniformen nicht durch neue ersetzen; die Armee stellte für Zwangsarbeiter keine Kleidung mehr zur Verfügung. Andras hatte die Degeneration seiner eigenen Uniform während der Zeit in der Offiziersschule beobachtet. Seine Jacke und Hose wirkten neben den gestärkten Khakistoffen der jungen Offiziere zunehmend wie der Aufzug eines Landstreichers.
An der Spitze der Kompanie gestriegelter Offiziersanwärter auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes konnte Andras Erdős aufrechte Gestalt und sein zwinkerndes Monokel ausmachen. Seine Knöpfe schossen goldene Feuerblitze in den Morgenhimmel. Dies war großes Drama für ihn, dies alles. Er war zufrieden mit der Arbeit von Andras und József. Als sie kurz vor der Generalprobe die fertigen Bühnenbilder und Kulissen vorgeführt hatten, hatte er sie so begeistert gelobt, dass eine Ader in seinem linken Auge geplatzt war. Die Generalprobe war bis auf ein paar vergessene Textzeilen glattgelaufen; alle Übel waren beseitigt, alles war auf militärischen Hochglanz poliert. Das Bühnenbild, die Kostüme, sogar ein großer Vorhang aus rot-gold gestrichener Leinwand warteten auf
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