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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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ganze Tumult sollte, und da stieß er auf diese beiden schönen Exemplare in einem Abwasserlauf. Damit haben wir nicht gerechnet, so was in unserer Falle zu finden, was, Erzsi?« Kozma rieb mit seiner Handschuhhand über den Rücken des Hundes. Dann befahl er Mendel und Goldfarb, sich nackt auszuziehen.
    Als Goldfarb einen protestierenden Laut von sich gab, brachte Leutnant Horvath ihn mit einem Schlag seines Pistolengriffs zum Schweigen. Die beiden Männer kämpften sich aus ihrer Kleidung, während Horvath sie ununterbrochen anschrie; Mendel konnte sein rechtes Hosenbein nicht über den Stiefel und die Falle ziehen, und so stand er mit der Hose zu seinen Füßen da, bis Horvath sie mit seinem Messer abschnitt. Die nackten Männer drückten sich gegen die Wand, heftig zitternd, hielten die gekreuzten Hände über ihre Weichteile. Goldfarb blickte in stumpfer Lähmung zu seinen Kameraden hinüber, als gehörten die Männerreihen zu einer unverständlichen Inszenierung, die er gezwungen war, sich anzusehen. Mendel sah Andras einen kurzen, quälenden Moment lang in die Augen und zwinkerte ihm zu. Damit wollt er ihn beruhigen, wusste Andras, doch seine Eingeweide krampften sich vor Schmerz zusammen: Dieser nackte, blutende Mann war Mendel Horovitz , sein Freund seit Kindertagen und sein Mitherausgeber, keine raffinierte Kopie als weitere Foltermethode des Munkaszolgálat. Kozma befahl einem der Wachleute, den beiden Männern mit ihren eigenen Hemden die Augen zu verbinden. Es war ein Wachmann, den Andras ein wenig kennengelernt hatte, ein ehemaliger Klempnergehilfe namens Lukás, der sie jeden Abend zur Offiziersschule begleitet und ihnen Zigaretten zugesteckt hatte, wann immer er konnte. Auch sein Gesichtsausdruck war ungläubig und angsterfüllt. Doch er verband den Männern wie befohlen die Augen. Goldfarb schob eine Hand unter die Binde, um sie ein wenig zu lockern. Andras ertrug es nicht, Mendels gesenkten Kopf und seine zitternden Arme zu sehen. Er ließ den Blick zu Mendels Füßen wandern, doch da war die Falle, deren Zähne Mendels Stiefel durchbohrten. Goldfarb trug keine Schuhe; er hatte die Füße übereinandergestellt, um sie zu wärmen. In der Stille des Hofs summte der Atem der Männer.
    Lange Zeit geschah nichts – lang genug, um Andras glauben zu lassen, diese kalte, nackte Demütigung sei die gesamte Strafe. Bald dürften Mendel und Goldfarb sich wieder anziehen und sich beim Sanitätsoffizier Tolnay melden, der ihre Wunden versorgen würde. Doch dann geschah etwas, das Andras nicht sofort verstand: Fünf Wachmänner marschierten auf die Fläche, die die Reihen der 79/6 von den zitternden Männern an der Wand trennte. Die Wachen nahmen den Raum ein wie zum Schutz, als sei es ihre Aufgabe, Mendel und Goldfarbs Nacktheit vor den Blicken ihrer Kameraden zu schützen. Kozma gab einen Befehl, die Wachen legten die Gewehre an die Schulter und richteten sie auf die Männer mit den verbundenen Augen. Ein ungläubiges Gemurmel in den Reihen; wild tobender Protest in Andras’ Brust. Dann das Geräusch entsicherter Gewehre.
    Von Kozma nur ein einziges Wort: Feuer.
    Der Knall der Schüsse peitschte über den Hof, wurde von den Steinwänden zurückgeworfen und stieg in den Himmel auf. Hinter einer Rauchwolke waren Mendel Horovitz und László Goldfarb gegen die Mauer gesackt.
    Andras drückte sich die Fäuste in die Augen. Der Lärm schien sich in seinem Kopf unendlich fortzusetzen. Die beiden Männer, die kurz zuvor noch gestanden hatten, saßen jetzt auf dem Boden, die Knie an die Brust gezogen. Reglos und blass hockten sie da, zitterten nicht mehr; sie saßen da ohne die geringste Bewegung, die Köpfe einander zugeneigt wie in einem vertraulichen Gespräch.
    »Deserteure«, sagte Kozma, als sich der Qualm gelichtet hatte. »Diebe. Ihre Taschen waren voller Wertsachen. Jetzt seid ihr gewarnt, ihrem Beispiel zu folgen. Fahnenflucht ist Verrat. Darauf steht der Tod.« Er stieg von seinem Stühlchen, machte kehrt und marschierte mit dem Hund bei Fuß ins Waisenhaus, dicht gefolgt von Leutnant Horvath.
    Kaum hatte sich die Tür geschlossen, lief Andras zu Mendel an der Mauer, kniete sich neben ihn, legte ihm eine Hand an den Hals, auf die Brust. Kein Herzschlag; nichts. Auf dem Hof: Schweigen. Nicht einmal die Wachen rührten sich. Elfenbeinturm trat vor und beugte sich über László Goldfarb; niemand hielt ihn davon ab. Dann richtete er sich wieder auf und sprach leise mit dem Wachmann namens Lukás.

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