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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Hauptmann trug Andras und József auf, eine Liste der benötigten Materialien zusammenzustellen: Holz, Kaninchendraht, Zeitungen, Leinen, was immer sie brauchten. Dann beugte er sich weiter vor und sprach in einem anderen Ton weiter.
    »Hört zu, Jungs«, sagte er. »Szolomon hat mir erzählt, was in eurer Kompanie los ist. Kozma ist ein Unmensch. Es ist widerwärtig. Sagt mir Bescheid, wenn ich etwas für euch tun kann. Egal was. Braucht ihr Essen? Kleidung? Habt ihr genug Decken?«
    Andras konnte kaum antworten. Was die 79/6 brauchte? Alles. Morphium, Penicillin, Verbandsmaterial, Lebensmittel, Decken, Mäntel, Stiefel, wollene Unterwäsche, Hosen und mindestens eine Woche Schlaf. »Sanitätsmaterial«, brachte er hervor. »Jeglicher Art. Und Vitamintabletten. Und Decken. Wir sind für alles dankbar.«
    Doch József hatte einen anderen Gedanken. »Sie können Briefe verschicken, oder?«, fragte er. »Sie könnten unsere Angehörigen wissen lassen, dass wir noch leben.«
    Erdő nickte langsam.
    »Und Sie könnten auch Post für uns empfangen, wenn sie zu Ihren Händen geschickt wird.«
    »Das kann ich, ja. Aber es ist gefährlich. Was Sie da vorschlagen, ist natürlich vorschriftswidrig, außerdem wird alles zensiert. Sie müssen sicherstellen, dass Ihre Angehörigen das verstehen. Ein falscher Brief könnte uns alle in Gefahr bringen.«
    »Wir sorgen dafür, dass sie es verstehen«, sagte József, und dann: »Können Sie uns Stifte besorgen? Und irgendwelches Papier?«
    »Natürlich. Das ist nicht schwer.«
    »Wenn wir die Briefe morgen mitbringen, können Sie sie dann am nächsten Tag verschicken?«
    Erdő nickte abermals streng und feierlich. »Das kann ich, Jungs«, sagte er. »Das werde ich tun.«
    Als der Wachmann namens Lukás Andras, József und die anderen, die für Die Tataren in Ungarn abkommandiert waren, am Abend zurück zum Waisenhaus brachte, musste Andras sich eingestehen, dass Józsefs Idee gut gewesen war. Ihm wurde schwindelig bei der Vorstellung, was er Klara in der Nacht schreiben könnte. Inzwischen weißt Du, warum ich am Tag vor unserer Abreise nicht nach Hause gekommen bin. Zusammen mit dem Rest meiner Kompanie wurde ich entführt und nach Ostgalizien verschleppt. Seitdem wir hier sind, werden wir ausgehungert, sind zerschunden, krank vor Arbeit, man lässt uns an Krankheiten verrecken, bringt uns buchstäblich um. Mendel Horovitz ist tot. Er starb nackt und mit verbundenen Augen durch ein Erschießungskommando, zum Teil dank Deines Neffen. Was mich selbst angeht, ich kann kaum sagen, ob ich noch lebe oder schon tot bin. Natürlich würde er nichts dergleichen schreiben; die Wahrheit würde die Zensoren niemals passieren. Aber er konnte Klara anflehen, nach Palästina zu gehen – er würde vielleicht eine Möglichkeit finden, diese Bitte im Brief unterzubringen, auch wenn er sie stark verschlüsseln müsste. Andras wagte sogar zu hoffen, dass Klara womöglich schon in Palästina war – dass eine Antwort von Elza Hász die Nachricht enthalten könnte, Klara sei, wie geplant, mit Tibor, Ilana und Ádám die Donau hinuntergefahren, habe das Schwarze Meer und den Bosporus durchquert und ein Leben in Palästina begonnen, wo sie und Tamás sicher vor dem Krieg waren, relativ sicher jedenfalls. Wenn Andras gewusst hätte, dass er nach Ostgalizien versetzt würde, hätte er sie angefleht, ohne ihn zu gehen. Er hätte sie gebeten, ihr eigenes Leben und das von Tamás gegen seines abzuwägen, und hätte ihr gezeigt, was sie tun müsste. Aber er war nicht dort gewesen, um Klara zu überzeugen. Nein, er war deportiert worden, und die Ungewissheit seiner Situation sprach für ihr Bleiben – ihre Liebe zu ihm eine Fußangel, eine Falle, aber keine von der Sorte, die einen am Leben ließ.
    Liebe K., schrieb er in der Nacht, Dein Neffe und ich schicken Dir Grüße aus der Stadt T. Ich schreibe Dir in der Hoffnung, dass Dieser Brief Dich nicht in Budapest erreichen wird, sondern dass Du bereits aufs Land aufgebrochen bist. Wenn Du diese Reise aufgeschoben hast, flehe ich Dich an, sie meinetwegen nicht länger hinauszuzögern. Du musst Dich aufmachen, sobald sich die Gelegenheit ergibt. Mir geht es gut, doch es ginge mir besser, wenn ich wüsste, dass Du unsere Pläne weiter verfolgst. Und dann die schreckliche Nachricht: Unser Freund M. H., muss ich Dir mitteilen, wurde vor einem Monat gezwungen, nach Lachaise zu gehen. Eine Anspielung auf den Friedhof in Paris. Ob sie verstehen würde? Mir geht es so,

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