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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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kommen. Als sie das offene Treppenhaus emporstiegen, konnte Andras das Glitzern der Goldfische in den grünen Tiefen des Brunnens sehen.
    Sie standen vor der Tür, sie öffnete sich. Da war Tibor, ausgezehrt und blass, die Augen voller Tränen hinter den Gläsern im silbernen Rahmen. Er legte die Arme um seinen Bruder, und sie hielten sich im Flur fest. Andras atmete Tibors schwachen Geruch nach Seife, Talg und sauberer Watte ein, wollte sich nicht bewegen, wollte nicht sprechen. Doch dann führte Tibor ihn ins Wohnzimmer, wo die ganze Familie wartete. Da war sein Neffe Ádám, der neben seiner Mutter stand, Ilana mit einem bestickten Tuch über dem Haar, György Hász, grauer und älter, Elza Hász streng in einem Baumwollkleid, Klaras Mutter, kleiner als je zuvor, die Augen tief und strahlend. Und hinter ihnen erhob sich von der Couch ein blasser Mann mit ovalem Gesicht, der einen dunklen Pullover von Andras trug und ein zerdrücktes Taschentuch in der Hand hielt.
    Andras wurde schwindelig. Er legte die Hände auf die Rückenlehne der Couch und ließ das Gefühl wie eine Druckwelle über sich hinweggehen.
    Eli Polaner.
    »Das kann nicht sein«, sagte Andras. Er schaute von Klara zu seinem Bruder und zu Ilana, dann wieder hinüber zu Polaner. »Ist es wahr?«, fragte er auf Französisch.
    »Es ist wahr«, sagte Polaner mit seiner vertrauten, lange vermissten Stimme.
    Es war die Albtraumversion eines Märchens, eine derart grausige Geschichte, dass sie selbst Andras noch neue Schrecken lehrte, nach allem, was er in Galizien erlebt hatte. Fast wünschte er sich, niemals erfahren zu haben, was mit Polaner im Konzentrationslager von Compiègne geschehen war, in das man ihn nach seiner Entlassung aus der Fremdenlegion 1940 gebracht hatte – wie man ihn geschlagen und hungern lassen hatte und ihn halb tot nach Buchenwald deportierte, wo er zwei Jahre als Zwangsarbeiter und Sexsklave verbrachte, wo er an der Brust ein auf dem Kopf stehendes rosa Dreieck über einem aufrechten gelben trug. Polaners Homosexualität war so lange unentdeckt geblieben, bis ein Arbeitskollege eine Namensliste erstellt hatte, um einen Posten als Kapo zu ergattern; danach hatte sich Polaner auf der untersten Stufe der Lagerhierarchie wiedergefunden, gebrandmarkt mit einem Symbol, das ihn zur Zielscheibe der Wachen machte und andere Gefangene davon abhielt, ihm zu nah zu kommen. Er war in den Steinbruch abkommandiert worden, wo er vierzehn Stunden am Tag Säcke mit Bruchsteinen schleppte. Nach seiner Schicht im Steinbruch musste er die Latrinen seines Barackenblocks säubern – eine Erinnerung daran, erklärte der Blockwart ihm, dass er in diesem Lager weniger wert war als Scheiße, ein Diener der Scheiße. Manchmal wurden er und ein paar andere spätnachts zu einer Hintertür des Offiziersquartiers geführt, wo man sie fesselte und vergewaltigte – zuerst von einem der Offiziere und dann von seinen Sekretären und seinem Burschen.
    Eines Abends waren sie einem Würdenträger vom SS -Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt als Gunstbeweis zugeführt worden, einem hochrangigen Lagerinspektor, von dem bekannt war, dass er die Gesellschaft junger Männer bevorzugte. Doch die Vorlieben des hohen Beamten waren nicht so, wie man angenommen hatte; er vergewaltigte junge Männer nicht, er liebte sie. Er ließ die Gefangenen losbinden, waschen, rasieren und in Zivil kleiden. Er wollte sich mit ihnen unterhalten, so als träfe man sich zufällig auf einer Feier. Er ließ sie auf Sofas in seinem Privatquartier Platz nehmen und verwöhnte sie mit Leckereien – Tee und Plätzchen, während sie in den letzten drei Jahren von dünner Suppe und mit Rüsselkäfern verseuchtem Brot gelebt hatten. Der Inspektor war entzückt gewesen von Polaners Französisch und seinem Wissen über zeitgenössische Kunst und Architektur. Es stellte sich heraus, dass er den verstorbenen vom Rath gekannt hatte, für den er so etwas wie ein politischer Mentor gewesen war. Am Ende des Abends hatte der Inspektor beschlossen, Polaner unverzüglich in seinen persönlichen Dienst versetzen zu lassen. Er brachte Polaner in seine Privatunterkunft in einem anderen Lager, hundert Kilometer weiter, und ließ ihn als einen niederen Diener registrieren, der Kohle schleppen und Stiefel schwärzen musste; tatsächlich wurde Polaner dort wie ein Patient behandelt, er lag im Bett und wurde von den Hausangestellten des Lagerinspektors gesund gepflegt.
    Als Polaner am Ende der zwei Monate genesen war,

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