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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Sowjetische Panzer näherten sich von Südwesten. Hitler hatte geschworen, sie um jeden Preis aufzuhalten. Straßen wurden gesperrt. Nahrungs- und Brennstoffvorräte wurden knapp. In der Hauptstadt begann man zu hungern. Diese bitteren Nachrichten hätte Tibor niemals Andras überbracht, doch Andras hörte genau, wenn sein Bruder vor dem Güterwaggon mit jemandem sprach; sein vom Fieber geschärftes Gehör erhaschte alles, jedes einzelne Wort.
    Er verstand auch, dass József und er im Sterben lagen. Ruhr hörte er immer wieder auf Deutsch und Flecktyphus . Eines Tages war Tibor aus der Stadt zurückgekehrt und hatte Andras und József mit einer Schüssel Bohnen zwischen sich vorgefunden; sie hatten bereits die Hälfte von dem vertilgt, was ihnen zugeteilt worden war. Tibor schimpfte mit ihnen und warf die Bohnen aus der Wagentür. Seid ihr verrückt? Bei Ruhr gebe es nichts Schlimmeres als zu kurz gekochte Bohnen. Menschen starben daran, doch im Quarantänelager gab es nichts anderes zu essen. Tibor fütterte Andras und József mit der Kochflüssigkeit der Bohnen, manchmal mit ein wenig Brot. Einmal gab es Brot mit einer dünnen Schicht Marmelade, die schwach nach Benzin roch. Tibor erklärte: Bei seinen Streifzügen sei er auf ein Bauernhaus gestoßen, das von einem Flugzeug getroffen worden war; auf dem Hof hatte er einen Tontopf mit Eingemachtem gefunden. Wo der Tontopf sei, fragten sie. Zerschmettert. Tibor hatte die Marmelade in der Hand getragen, zwanzig Kilometer weit.
    Während József durch Tibors Essen langsam zu Kräften kam, stieg Andras’ Fieber. Die Rote Ruhr rollte über ihn hinweg und krempelte ihn von innen nach außen. Das Skelett der Wirklichkeit fiel auseinander, das Bindegewebe löste sich von den Knochen.
    Ein steter fauler Geruch, den er als seinen eigenen erkannte.
    Kälte.
    Tibor, weinend.
    Tibor, der jemandem sagt – József? –, dass Andras dem Ende nah sei.
    Tibor, der neben ihm kniet und ihn erinnert, dass Tamás an diesem Tag Geburtstag hat.
    Der Entschluss, dass er an diesem Tag nicht sterben will, nicht am Geburtstag seines Sohnes.
    In seinen geschundenen Eingeweiden eine aufkommende Ahnung von Kraft.
    Am nächsten Morgen dann ein Tumult im Quarantänelager. Das Dröhnen eines Megafons. Eine Ankündigung: Alle, die arbeiten könnten, würden nach Mürzzuschlag in Österreich gebracht. Soldaten durchsuchten die Güterwagen und zerrten die Lebenden in das grelle kalte Licht. Ein Mann in SS -Uniform schleppte Andras hinaus und warf ihn auf die Eisenbahnschienen. Wo war Tibor? Wo war József? Andras lag mit der Wange auf der eiskalten Schiene, das Metall brannte in seinem Gesicht, er war zu schwach, um sich zu bewegen, starrte auf den mit Raureif überzogenen Schotter, auf die eiligen Füße von Männern um sich herum. Aus der Nähe kam das Geräusch von Metall auf Erde: grabende Männer. Es schien stundenlang zu dauern. Andras verstand. Jetzt endlich: Die Toten wurden begraben. Und hier war er, wartete ebenfalls darauf, begraben zu werden. Er war gestorben, war hinübergegangen. Er wusste nicht, wann es geschehen war. Er wunderte sich, dass es so einfach war. Es gab kein lebendig oder tot , nur diesen Albtraum, ohne Unterlass, und als die Erde auf ihn fiel, spürte er dennoch Kälte und Schmerz, erstickte auf ewig. Kurz darauf wurde er an Handgelenken und Knöcheln hochgehoben und durch die Luft geworfen. Ein Moment der Schwerelosigkeit, dann das Fallen. Der Aufprall, den er in allen Gelenken, in seinen verwüsteten Eingeweiden spürte. Ein Gestank. Unter ihm die Leichen von Männern. Um ihn herum Wände aus nackter Erde. Eine Schaufel Erde auf seinem Gesicht. Der Geschmack erinnerte an etwas aus seiner Kindheit. Immer wieder wischte er sie sich aus dem Gesicht, doch immer wieder fiel neue Erde herab. Der Schaufler, eine kräftige schwarze Gestalt am Rande des Grabes, stieß den Spaten mit Wucht in einen Erdhaufen. Dann hörte er auf, ohne dass Andras einen Grund erkennen konnte. Kurz darauf war er fort, die Aufgabe vergessen. Und dort lag Andras, nicht lebendig, nicht tot.
    Eine Nacht in einem offenen Grab, bedeckt mit Erde.
    Am Morgen zog ihn jemand heraus.
    Wieder der Güterwaggon. Und jetzt.
    Jetzt.
    Neben ihm stand eine Schale mit Bohnen. Er hatte Heißhunger darauf. Doch er hielt sich die Schüssel an die Lippen und schluckte nur die Flüssigkeit. Beim ersten Schluck spürte er, wie sich sein Darm in Bewegung setzte, dann unter sich etwas Heißes.
    Noch ein Tag verging, es wurde

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