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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Schnellschritt neben dem Wagen her, ein Paar Stiefel in der Hand. Er half Andras und József auf die Ladefläche und legte die Stiefel auf Andras’ Schoß.
    »Heil Hitler«, sagte der Offizier und salutierte.
    Hundertmal hätte es das Ende sein können. Es hätte das Ende sein können, als der Waggon im Arbeitslager eintraf und die Männer inspiziert wurden, es hätte das Ende sein können, wenn der Inspektor nicht ein jüdischer Kapo gewesen wäre, der Mitleid mit Andras und József hatte – er wies sie einer Arbeitsbrigade zu, anstatt sie aufs Krankenrevier zu schicken, auch wenn sie kaum gehen konnten. Es hätte auch an dem Tag das Ende sein können, als ihre hundert Mann starke Gruppe das vorgeschriebene Arbeitspensum nicht erfüllte: Sie sollten fünfzig Paletten Ziegelsteine auf Pritschenwagen laden, hatten aber nur neunundvierzig geschafft; zur Bestrafung wählten die Wachen zwei Männer aus, einen grauhaarigen Chemiker aus Budapest und einen Schuhmacher aus Kaposvár, und exekutierten sie hinter der Ziegelei. Es hätte das Ende sein können, als die Nahrung im Lager knapp wurde; wären Andras und József nicht, als sie einen Latrinengraben aushoben, auf vier im Boden versteckte Tontöpfe gestoßen: ein Vorrat von Gänseschmalz, ein Relikt aus einer Zeit, als das Lager ein Bauernhof gewesen war und die Bauersfrau magere Tage gefürchtet hatte. Es hätte das Ende sein können, wenn die Männer im Lager genug Zeit gehabt hätten, ihr Projekt fertigzustellen: ein riesiges Krematorium, in dem ihre vergasten oder erschossenen Körper verbrannt werden sollten. Doch es war nicht das Ende. Als die erschöpften, hungernden Männer am ersten April darauf warteten, vom Sammelplatz zur Arbeit in der Ziegelei geführt zu werden, berührte József Andras an der Schulter und wies auf eine Fahrzeugkolonne, die hinter dem Stacheldrahtzaun über die Militärstraße schnurrte.
    »Hast du gesehen?«, sagte József. »Ich glaube nicht, dass wir heute arbeiten müssen.«
    Andras hob die Augenbrauen. »Warum nicht?«
    »Guck mal!« József wies auf die Straßenkurve, die nach Osten abknickte. Ein Tohuwabohu aus deutschen und ungarischen Militärfahrzeugen holperte über die Furchen, einige verließen das Straßenbett, andere blieben im tiefen Schlamm stecken oder drehten sich unkontrollierbar in die Gräben. Hinter ihnen kamen, soweit Andras sehen konnte, schnittige, schnelle Panzer: sowjetische T-34, die Sorte, die er schon in Galizien und in den Subkarpaten gesehen hatte. Das erklärte, warum sich ihr Vorarbeiter noch nicht hatte blicken lassen, obwohl es schon halb acht war: Die Russen waren endlich da, und die Deutschen und Ungarn rannten um ihr Leben. In dem Augenblick gab ein Lagerlautsprecher den Befehl aus, alle Insassen sollten in ihre Unterkunft zurückkehren, ihre Habseligkeiten zusammenpacken und sich am Lagertor einfinden, um dort die Anordnungen zur Truppenverschiebung zu erwarten. Doch József setzte sich dort nieder, wo er gerade stand, und schlug die Beine übereinander.
    »Ich gehe nirgendwohin«, sagte er. »Keinen einzigen Schritt. Wenn die Russen kommen, bleibe ich hier sitzen und warte.«
    Die Durchsage rief einen Aufschrei unter den Männern hervor, einige warfen die Mützen in die Luft; sie standen auf dem Sammelplatz und sahen zu, wie ihre Aufseher und Wachen aus dem Lager flüchteten, einige zu Fuß, andere in Geländefahrzeugen oder Lastwagen. Niemand schien die wenigen Männer zu bemerken, die sich mit ihrem Hab und Gut am Tor versammelt hatten. Über den Lautsprecher kamen keine weiteren Anweisungen; es war niemand mehr da, der sie hätte durchgeben können. Einige Insassen versteckten sich in den Schlafbaracken, doch Andras und József und viele andere erklommen eine kleine Anhöhe und beobachteten, wie auf den angrenzenden Feldern das Gefecht losbrach. Ein Bataillon deutscher Panzer war umgedreht und den Sowjets entgegengefahren, stundenlang blafften und brüllten die Rohre. Den ganzen Tag lang, bis in die Nacht hinein, bejubelten die Befreiten die Rote Armee. Nach Einbruch der Dunkelheit malte das Geschützfeuer eine Röte in den Osthimmel; irgendwo hinter dem pfingstrosenroten Licht war die ungarische Grenze, und dahinter die Straße, die nach Budapest führte.
    Bei Anbruch des nächsten Tages traf eine sowjetische Abordnung ein und übernahm das Lager. Die Soldaten trugen graue Jacken und schlammverschmierte blaue Bundhosen; ihre Stiefel waren wunderbarerweise unversehrt, und ihre Ledergurte und

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