Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
würde er leben, bis er ein weißhaariger alter Mann war wie seine Brüder.
Stattdessen gab es nur dieses Foto. Und ihren gemeinsamen Nachnamen, zum Gedenken.
Sie wollte die ganze Geschichte erfahren: wie dieser Großonkel als kleiner Junge gewesen war, was er in der Schule gerne gelernt hatte, was er aus seinem Leben hatte machen wollen, wo er gelebt hatte, wen er geliebt hatte, wie er gestorben war. Wenn ihr eigener Bruder stürbe, würde sie ihrer Enkeltochter alles über ihn erzählen. Wenn ihre Enkelin danach fragte.
Vielleicht lag da das Problem: Sie hatte nicht gefragt. Vielleicht würden sie auch jetzt nicht darüber sprechen wollen. Aber sie würde fragen, beim nächsten Mal, wenn sie zu Besuch war. Es erschien ihr richtig, dass man es ihr erzählte, nun da sie dreizehn Jahre alt war. Sie war kein Kind mehr. Sie war jetzt alt genug, um die ganze Geschichte zu erfahren.
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Alle Fälle
Es hätte geschehen können.
Es hat geschehen müssen.
Es war schon früher geschehen. Später.
Näher. Ferner.
Es ist nicht dir geschehen.
Du überlebtest, denn du warst der Erste.
Du überlebtest, denn du warst der Letzte.
Weil allein. Weil unter Leuten.
Weil links. Weil rechts.
Weil Regen fiel. Weil Schatten fiel.
Weil die Sonne schien.
Zum Glück gab’s den Wald.
Zum Glück keine Bäume.
Zum Glück das Gleis, den Haken, den Balken, die Bremse,
die Nische, die Kurve, den Millimeter, die Sekunde.
Zum Glück trieb ein Strohhalm im Wasser.
Infolge, deswegen, dennoch, trotzdem.
Was wär, wenn die Hand, das Bein,
um einen Schritt, eines Haares Breite
vom Zufall.
Also du bist? Stracks aus dem eben kaum noch offenen Moment?
Das Netz war einmaschig, und du durch diese eine Masche?
Ich kann nicht sattsam darüber schweigen noch mich wundern.
Höre,
wie schnell mir dein Herz schlägt.
Aus: Wislawa Szymborska: Die Gedichte , herausgegeben und übertragen von Karl Dedecius, Frankfurt a. M. 1997.
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Danksagung
Mein großer Dank gilt allen, die dazu beigetragen haben, diesen Roman in seine endgültige Form zu bringen. Das National Endowment for the Arts, die MacDowell Colony, die Corporation of Yaddo, die Rona Jaffe Foundation und das Lewis B. Cullman Center for Scholars and Writers an der New York Public Library haben mir unermesslich wertvolle Zeit und Freiheit geschenkt. Das United States Holocaust Memorial Museum, das Mémorial de la Shoah in Paris, die Bibliothek der École Spéciale d’Architecture, das Holocaust-Dokumentationszentrum Budapest und das Jüdische Museum in Budapest gewährten mir Zugang zu Artefakten und Dokumenten, die die Geschichte greifbar machten. Zsuzsa Toronyi vom Ungarischen Jüdischen Archiv in Budapest hat mir die Munkaszolgálat-Zeitungen gezeigt, und Gábor Nagy hat sie feinfühlig und kenntnisreich übersetzt. Die Arbeiten des emeritierten Politik-Professors Randolph Braham (City University of New York), der sein ganzes Leben der Aufarbeitung des ungarischen Holocausts gewidmet hat, waren unverzichtbare Hilfsmittel für mich – insbesondere The Politics of Genocide ; ich erinnere mich noch genau an den verschneiten Februartag, als er sich mit mir traf, um meine Fragen zur osteuropäischen Geografie und Diensträngen in der ungarischen Armee zu beantworten. Das USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education hat mir Videos mit vielen Stunden Interviewmaterial zur Verfügung gestellt. Killian O’Sullivan half mit seinen detaillierten Architekturkenntnissen. Professor Brian Porter von der Universität Michigan eröffnete mir kostbare Einblicke in die Politik und Geschichte Mitteleuropas im zwanzigsten Jahrhundert. Kenneth Turan half mir bei Fragen zur jiddischen Sprache. Alice Hudson von der New York Public Library stöberte Stadtpläne von Budapest und Paris aus den Kriegsjahren auf. Professor Edgar Rosenberg von der Cornell University machte mich mit Gerald Schwabs kostbarem Buch The Day the Holocaust began: Die Odyssey of Herschel Grynszpan bekannt.
Jordan Pavlin bei Knopf zeichnete sich durch grenzenlose Geduld, Ermutigung und sensibelste, sorgfältigste Lektoratsarbeit aus. Kimberly Witherspoon war von Anfang an Fürsprecherin dieses Projekts. Sonny Mehta schenkte mir die große Gabe seiner Zuversicht. Mary Mount redigierte den Roman aus europäischer Perspektive. Meine Lektorin Kate Norris engagierte sich weit über ihre Pflicht hinaus. Leslie Levine antwortete auf jede Frage bereitwillig und geduldig.
Michael Chabon und
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