Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
Kufen auf dem Eis. Sie gelangten zu einer Bresche zwischen den Bäumen, und vor ihnen erstreckte sich der zugefrorene See mit den kleinen Inseln in der Mitte, das umzäunte Ufer dicht bevölkert von Parisern. Auf dem Eis schwebten ernst dreinblickende Männer und Frauen in Wintermänteln langsam um die Inseln. Ein Aufwärmhaus mit einer Eingangstür aus geriffeltem Glas stand auf einer kleinen Anhöhe. Nach Aussage des rot beschrifteten Schilds konnte man dort für fünfzig Centimes Schlittschuhe ausleihen. Elisabet und Marthe führten die kleine Gruppe in das Häuschen, wo sie vor der Ausleihtheke warteten, bis sie an der Reihe waren. Andras bestand darauf, die Leihgebühr für alle zu übernehmen, auch wenn er nicht darüber nachdenken wollte, was diese zwei Francs weniger in der kommenden Woche für ihn bedeuten würden. Auf einer feuchten grünen Bank tauschten sie ihre Schuhe gegen die Schlittschuhe, und kurz darauf staksten sie schon zum See hinunter.
Andras betrat das Eis und fuhr in mehreren Bögen zur größeren der beiden Inseln, prüfte Stärke und Balance der Kufen. Tibor hatte ihm das Eislaufen beigebracht, als er fünf Jahre alt war; jeden Tag waren sie auf dem Mühlteich in Konyár gefahren, auf Kufen, die ihr Vater aus Sperrholz und dickem Draht gebastelt hatte. Als Schüler in Debrecen waren sie auf einer Freiluftbahn an der Piac utca gelaufen, ein perfektes, von Menschenhand geschaffenes Oval, künstlich gekühlt durch unterirdische Leitungen. Andras war auf Schlittschuhen immer leicht und behände gewesen, schneller als seine Brüder oder Freunde. Selbst jetzt, auf diesen stumpfen Mietkufen, fühlte er sich wendig und flink. Er flitzte zwischen den Schlittschuhfahrern in ihren dunklen Wollmänteln hindurch, seine Jacke flatterte hinter ihm her, seine Mütze drohte ihm vom Kopf zu fliegen. Wenn er innegehalten hätte, wäre ihm aufgefallen, dass junge Männer ihm neidisch nachschauten, hätte er die neugierigen Blicke der Mädchen und die missbilligenden Gesichter der älteren Läufer bemerkt. Doch Andras nahm nur das pure Prickeln wahr, über das Eis zu schweben, spürte die rasche Übertragung der Reibungswärme von seinen Kufen auf den gefrorenen Teich. Er zog einen Kreis um die größere Insel, näherte sich den Frauen mit hoher Geschwindigkeit und huschte so elegant zwischen Madame Morgenstern und Elisabet hindurch, dass beide staunend stehen blieben.
»Könnten Sie bitte mal aufpassen, wo Sie herfahren?«, zischte Elisabet in ihrem schroffen Französisch. »Sie könnten jemanden verletzen.« Sie nahm Marthes Arm, und die beiden zogen von dannen. Andras blieb zurück, um mit Madame Morgenstern durch eine Tüllwehe aus Schnee zu fahren.
»Sie sind flink auf den Beinen«, sagte sie und warf ihm unter der Glocke ihres Huts ein flüchtiges Lächeln zu.
»Auf dem Eis vielleicht«, sagte Andras errötend. »Sonst war ich nie sehr gut im Sport.«
»Sie sehen aber aus, als wüssten Sie so einiges übers Tanzen.«
»Nur, dass ich darin auch nicht sehr gut bin.«
Madame Morgenstern lachte und fuhr ein Stück voraus. Im grauen Nachmittagslicht erinnerte der Teich Andras an die japanischen Gemälde, die er auf der Weltausstellung gesehen hatte: Grüne Sträucher spreizten ihre dunklen Federn vor einem Waschküchenhimmel, und die Hügel glichen Tauben, die sich wärmend aneinanderdrückten. Madame Morgenstern bewegte sich leichtfüßig auf dem Eis, den Rücken durchgedrückt, die Arme angewinkelt, als sei Schlittschuhlaufen lediglich eine andere Art von Ballett. Weder stolperte sie gegen Andras, noch lehnte sie sich bei ihm an, als sie ihre Runden auf dem See drehten; selbst als sie über einen Tannenzweig fuhr und kurz das Gleichgewicht verlor, wechselte sie ohne einen Seitenblick zu Andras auf die andere Kufe. Doch als die beiden die kleinere Insel zum zweiten Mal umrundet hatten, kam sie etwas näher.
»Mein Bruder und ich sind in Budapest oft eislaufen gewesen«, sagte sie. »Wir gingen immer auf den Városliget, nicht weit von unserem Haus. Ein schöner Teich, gleich bei der Vajdahunyad-Burg. Kennen Sie ihn?«
»Oh, ja.« Andras hatte sich den Eintrittspreis nie leisten können, aber Tibor und er waren oft dorthin gegangen, um den nächtlichen Eisläufern zuzusehen. Die Burg, ein Amalgam aus tausend Jahren Architektur, war vor vierzig Jahren aus Anlass eines Jubiläums gebaut worden. Romanische, gotische, Renaissance- und Barockelemente fanden sich nebeneinander auf der Länge des Gebäudes;
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