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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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auftauchte: ein untersetzter Mann mit Schnäuzer und Monokel, der eine Arzttasche trug.
    »Sophie, wo ist deine Brille?«, fragte er und verzog missbilligend den Mund.
    Das kleine Mädchen holte eine Brille mit Goldrahmen aus seinem Beutel.
    »Bitte, Madame«, sagte er. »Achten Sie doch bitte darauf, dass Sophie sie trägt.«
    »Ich versuche es«, sagte Madame Morgenstern lächelnd.
    »Die fällt runter, wenn ich tanze«, protestierte das Mädchen.
    »Verabschiede dich, Sophie«, sagte der Arzt. »Wir kommen zu spät zum Essen.«
    In der Tür blieb Sophie stehen und winkte. Dann war sie mit ihrem Vater fort, und Andras stand allein mit Madame Morgenstern im Studio. Sie ging durch den Raum, um einige Dinge zusammenzusuchen, die die Kinder vergessen hatten: ein einzelner Handschuh, eine Haarnadel, ein roter Schal. Sie legte alles in einen Korb, den sie neben das Klavier stellte. Objets trouvés.
    »Ich möchte Ihnen noch einmal danken«, sagte Andras, als sich das Schweigen zwischen ihnen unerträglich in die Länge zog. Es kam schroffer heraus, als er beabsichtigt hatte, dazu auf Ungarisch, ein dumpfes bäuerliches Gegrummel. Er räusperte sich und wiederholte es auf Französisch.
    »Bitte, Andras«, sagte sie lachend auf Ungarisch. »Sie haben so einen netten Brief geschrieben. Es war überhaupt nicht nötig, dass Sie sich bei mir bedanken. Es war bestimmt nicht der angenehmste Nachmittag für Sie.«
    Er konnte ihr nicht sagen, wie der Nachmittag für ihn gewesen war, wie die vergangene Woche gewesen war. Wieder sah er vor sich, wie sie gelächelt und an ihrem Pullover gezupft hatte, als sie ihn erkannte, diese unwillkürliche, befangene Geste. Er zerdrückte seine Mütze in den Händen und sah hinunter auf den glänzenden Boden des Studios. Oben hörte man schwere Schritte – Elisabet oder Frau Apfel.
    »Haben wir Sie für alle Zeiten vergrault?«, fragte Madame Morgenstern. »Oder möchten Sie morgen noch einmal kommen? Elisabet hat eine Freundin zum Essen da, und vielleicht gehen wir anschließend im Bois de Vincennes Schlittschuh laufen.«
    »Ich habe keine Schlittschuhe«, sagte er kaum hörbar.
    »Wir auch nicht«, gab sie zurück. »Wir leihen sie immer. Es ist herrlich. Es wird Ihnen gefallen.«
    Es ist herrlich, es wird Ihnen gefallen , so als würde es tatsächlich wahr werden. Und dann sagte er Ja, und es würde wirklich wahr werden.

   [Menü]
    9.
Bois de Vincennes
    ALS ER DIESMAL ZUM ESSEN in die Rue de Sévigné ging, trug er keine Theaterkrawatte und brachte keinen Armvoll welker Blumen. Er hatte sein altes Lieblingshemd angezogen und überreichte eine Flasche Wein und einen Birnenkuchen aus der Bäckerei nebenan. Wie beim ersten Mal hatte Frau Apfel ein Festmahl aufgetischt: ein geschichtetes Rakott krumpli aus Kartoffeln und Eiern, eine Terrine mit Karottensuppe, ein Haschee von Rotkohl, Apfel und Kümmel, ein dunkles Bauernbrot und drei Sorten Käse. Madame Morgenstern war ruhig und gefasst. Sie schien dankbar zu sein für die Gegenwart von Elisabets Freundin; ein kräftiges, düster wirkendes Mädchen in braunem Wollkleid. Es war jene Marthe, mit der Elisabet eine Woche zuvor ins Kino gegangen war. Sie brachte Elisabet dazu, über die Erlebnisse in der Schule zu reden: wer sich im Erdkundeunterricht blamiert hatte, wer ein Solo im Chor singen durfte und wer in den Winterferien zum Skifahren in die Schweiz reisen würde. Hin und wieder warf Elisabet Andras einen Blick zu, als wolle sie ihn darauf aufmerksam machen, dass er von der Unterhaltung ausgeschlossen war. Draußen hatte es leicht zu schneien begonnen. Andras konnte es nicht erwarten, aus dem Haus zu kommen. Es war eine Erleichterung, als die Birnentarte angeschnitten und gegessen wurde, als sie die Mäntel überziehen und gehen konnten.
    Um halb drei fuhren sie mit der Métro in den Bois de Vincennes. Als sie aus der Bahn stiegen, eilten Elisabet und Marthe vor, Arm in Arm, Madame Morgenstern folgte mit Andras. Sie sprach von ihren Schülerinnen, von der bevorstehenden Winteraufführung, vom jüngsten Kälteeinbruch. Sie trug einen eng anliegenden roten Wollhut in Glockenform; ihr Haar lugte gewunden darunter hervor, Schneeflocken sammelten sich auf der Krone.
    Im verschneiten Bois liefen zahllose Männer und Frauen mit Schlittschuhen in der Hand über die Wege, umgeben von kahlen Ulmen und Eichen und mit Raureif überzogenen immergrünen Sträuchern. Vom See hörte man die Rufe und Schreie der Schlittschuhfahrer, das Kratzen der

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