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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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an dieser außergewöhnlichen Fassade entlangzuschlendern war ein Gang durch die Jahrhunderte. Die Burg wurde von unten angestrahlt, im Hintergrund lief Musik. Andras stellte sich vor, wie zwei Kinder, Madame Morgenstern und ihr Bruder – der Vater von József Hász? –, ihre dunklen Schatten auf die Mauern der Burg warfen.
    »War Ihr Bruder ein guter Eisläufer?«, fragte er.
    Madame Morgenstern schüttelte lachend den Kopf. »Keiner von uns beiden war sehr gut, aber wir hatten unseren Spaß. Manchmal habe ich meine Freundinnen eingeladen. Wir nahmen uns an den Händen, und mein Bruder führte uns an wie eine Kette von Holzenten. Er war zehn Jahre älter und weitaus geduldiger, als ich gewesen wäre.« Beim Weiterfahren presste sie ihre Lippen aufeinander und schob die Hände in ihre Ärmel. Andras blieb nah bei ihr und erhaschte immer wieder einen Blick auf ihr Profil unter der tiefen Krempe ihres Huts.
    »Ich kann Ihnen einen Walzer beibringen«, sagte er.
    »Oh, nein«, sagte sie. »Ich kann nichts Ausgefallenes.«
    »Das ist nichts Ausgefallenes«, sagte er und lief ein Stück vor, um ihr die Schritte zu zeigen. Es war ein einfacher Walzer, den er als Zehnjähriger in Debrecen gelernt hatte: drei Schritte vor, ein langer Bogen und eine Wende; drei Schritte zurück, erneut gefolgt von Bogen und Wende. Claire wiederholte die Schrittfolge, ahmte nach, was Andras auf dem Eis vortanzte. Dann drehte er sich zu ihr um. Er holte tief Luft und führte die Hand an ihre Taille. Claire legte den Arm um ihn, ihre behandschuhten Finger ruhten auf seiner Hand. Er summte einige Takte von »Brin de Muguet« und begann, sie über das Eis zu führen. Anfangs zögerte sie noch, besonders bei den Wenden, aber bald bewegte sie sich so leicht, wie er es sich vorgestellt hatte, ihre Hand fest in seiner. Er wusste, dass Rosen, Polaner und Ben Yakov gelacht hätten, wenn sie ihn hier vor allen so hätten eistanzen sehen, aber es störte ihn nicht. Eine kurze Zeit lang, für die Dauer des Liedes in seinem Kopf, war diese leichtfüßige Frau mit ihrem glockenförmigen Hut nah an ihn gedrückt, ihre Hand in seiner geborgen. Seine Lippen streiften die Krempe ihres Huts, und er schmeckte einen kalten, feuchten Schleier von Schneeflocken. Er spürte ihren Atem an seinem Hals. Sie sah zu ihm auf, und kurz trafen sich ihre Blicke, dann schaute Andras zur Seite. Er ermahnte sich, dass jegliches Gefühl für sie sinnlos war; sie war eine erwachsene Frau mit einem komplizierten Leben, einem Beruf, einer Tochter auf der Oberschule. Der Walzer in seinem Kopf kam zum Ende und verklang. Andras ließ seine Arme von ihrem Körper sinken, und sie löste sich von ihm und lief an seiner Seite weiter. Zweimal umrundeten sie schweigend die Insel, ehe Claire wieder zu sprechen begann.
    »Bei Ihnen bekomme ich Heimweh nach Ungarn«, sagte sie. »Es ist über sechzehn Jahre her, dass ich das letzte Mal da war. So lange, wie Elisabet auf der Welt ist.« Sie suchte die Eisfläche ab, und Andras folgte ihrem Blick. In der Ferne sahen sie das Grün und Braun von Elisabets und Marthes Mänteln. Elisabet wies auf das Ufer, wo der schwarze Schatten eines Hundes einen kleineren, flinkeren Umriss jagte.
    »Manchmal denke ich, vielleicht gehe ich ja zurück«, stieß Madame Morgenstern fast flüsternd hervor. »Öfter jedoch denke ich, es wird nie dazu kommen.«
    »Doch, das wird es«, sagte Andras, überrascht, wie fest seine Stimme klang. Er nahm ihren Arm, und sie entzog ihn ihm nicht. Ganz im Gegenteil, sie ließ ihre Hand auf Andras’ Arm ruhen. Er erschauderte, obwohl er die Kälte nicht mehr spürte. So liefen sie schweigend eine weitere Runde um das Inselchen, bis eine vertraute, volltönende Stimme quer über das Eis die Namen von Andras und Madame Morgenstern rief: Andrácska! Klárika! Die ungarischen Koseformen, als wären sie noch alle in Budapest. Es war Madame Gérard, und sie kam in ihrem neuen pelzbesetzten Mantel und Hut auf sie zugeglitten, gefolgt von drei weiteren Schauspielern aus dem Theater. Die beiden Frauen nahmen sich in die Arme, lachten, lobten den herrlichen Schnee und staunten über die Menschenmasse auf dem gefrorenen Teich.
    »Klárika, meine Liebe, ich freue mich so, dich zu sehen. Und Andráska ist auch da. Und das da vorne muss Elisabet sein.« Madame Gérard lächelte durchtrieben und zwinkerte Andras zu, dann rief sie Elisabet und Marthe zu sich. Als die Mädchen sich über die Kälte beschwerten, lud Madame Gérard alle auf eine

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