Die unsichtbare Handschrift
und Betrügern aufgewachsen, Mörder waren jedoch nicht darunter. Es kann allerdings nicht schaden, sie ein wenig aufzuhalten, damit sie die Sendboten verpasst. Mehr wollen wir doch nicht, habe ich recht?«
Sie nickte. »Was aber, wenn sie das Haus verlassen hat, während Ihr bei mir wart oder eben, als wir im Kloster bei Mechthild waren?«
Er dachte einen Moment nach. »Wahrscheinlich ist es wirklich besser, wenn ich morgen beim ersten Hahnenschrei unweit der Schreibwerkstatt meinen Beobachtungsposten beziehe. Taucht diese Esther auf, kann ich sie mit ein paar Münzen gewiss überzeugen, sich augenblicklich wieder auf den Heimweg zu machen.«
»Ihr geht recht großzügig mit der zweiten Rate des Schreibers Reinhardt um, will mir scheinen.« Sie schmunzelte.
»Glaubt mir, er wird den Beutel mit dem klimpernden Inhalt an sich reißen und froh sein, mit der ganzen Sache nichts mehr zu schaffen zu haben. Nachzählen wird er bestimmt nicht. Jedenfalls nicht in meiner Anwesenheit. Bin ich erst weg, soll er sich ruhig gehörig ärgern.«
Sie hatten das Haus des Bischofs erreicht. Magnus begleitete sie bis zu ihrer Schlafkammer, obwohl er dann wieder die Treppe hinabsteigen und einen langen Gang hinuntergehen musste, um in einer Nische bei der Küche sein Lager zu beziehen.
»Klopft an meine Tür, wenn Ihr Euch auf den Weg macht«, bat Heilwig.
»Ihr denkt doch nicht daran, mit mir zu gehen?«
»Ich denke nicht nur daran, ich werde es tun.« Diese Entscheidung hatte sie schon lange getroffen.
»Haltet Ihr das wirklich für einen günstigen Einfall?«
»Warum wohl nicht?«
»Weil ich diesem Felding nicht traue. Alles Mögliche kann morgen früh in dieser Schreibstube geschehen. Ich möchte nicht, dass Ihr in Gefahr geratet oder Dinge mit ansehen müsst, die Ihr nicht verkraften würdet.«
»Ich danke Euch, Magnus. Seid gewiss, dass die Gattin des Grafen von Schauenburg nicht nur schaurige Dinge anzusehen, sondern gar auszuhalten gewöhnt ist. Es ist also nicht nötig, mich zu schonen. Gerade wenn nicht alles nach unserer Vorstellung verläuft, ist es doch denkbar, dass ich nützlich sein kann. Mein Wort hat einiges Gewicht, auch hier in Lübeck. Und ich kann damit drohen, Bischof Bertold zu Hilfe zu holen. Euch dagegen wird man ohne viel Federlesen unschädlich machen.«
Er nickte nachdenklich. Sie wusste, dass ihm nicht wohl war bei dem Gedanken. Dennoch leuchteten ihm ihre Argumente ein.
»Dann solltet Ihr jetzt schlafen. Bei Sonnenaufgang machen wir uns auf den Weg.«
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Lübeck, 31 . Mai 2011 – Christa Bauer
C hrista Bauer rieb sich den Nacken. Statt hier zu hocken und ein drittes Glas Weißwein zu bestellen, sollte sie besser in ihrem Bett liegen und sich endlich einmal wieder ausschlafen. Nur ließ diese geheimnisvolle Esther sie ja doch nicht in Ruhe. Meist recherchierte sie zehn bis zwölf Stunden täglich und machte trotzdem keine nennenswerten Fortschritte. Wenn sie dann völlig geschafft das Licht löschte, drehten ihre Gedanken sich unaufhörlich im Kreis. Sobald es dunkel war und sie eigentlich entspannen konnte, kamen ihr neue Ideen. Oft musste sie mehrmals in der Nacht die kleine Leselampe wieder anknipsen, um sich ein Internet-Forum oder ein Institut zu notieren, mit dem sie noch keinen Kontakt aufgenommen hatte. Oder ihr fiel ein weiterer Suchbegriff ein, eine weitere Abteilung im Archiv oder in den Archiven anderer Hansestädte, alles Ansätze, um ihre Suche fortzuführen. Ja, sie träumte sogar von der rätselhaften Frau. In ihren Träumen war diese eine Bürgerliche gewesen, die weder eine kirchliche noch die Ausbildung einer Adligen genossen hatte. Sie könnte also gar nicht schreiben, doch ihr Unterbewusstsein ignorierte diese Tatsache hartnäckig. Sie überlegte kurz, ob sie auf das weitere Glas doch verzichten und stattdessen Ulrich anrufen und während eines Abendspaziergangs mit ihm plaudern sollte. Ab und zu tat sie das, und auch er rief immer mal wieder an. Sie unterhielten sich längst nicht mehr ausschließlich über ihre Berufe, sondern redeten über Politik, lohnende Reiseziele oder über Dokumentationen, die sie sich im Fernsehen angeschaut hatten. Sie mochte ihn. Sie mochte ihn sogar sehr, und es tat ihr gut, sich von ihm hin und wieder ablenken zu lassen.
»Haben Sie noch einen Wunsch, Christa?« Sie hatte Costas, der an ihren Tisch getreten war, gar nicht bemerkt.
»Ja, ich hätte gern noch ein Glas Wein.« Nun hatte sie doch ganz automatisch bestellt. Auch gut,
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