Die unsichtbare Handschrift
jemand war schon da. Ist das so ungewöhnlich?« Es sah also danach aus, dass auch Esther sich fügsam an die Abmachung gehalten hatte. Recht so. Welch ein glücklicher Tag! Der Schauenburger würde ihm die zweite Hälfte eines kleinen Vermögens bezahlen, Marold würde sich auch nicht lumpen lassen. Und dank dieser reizenden Esther konnte er sich einen zusätzlichen Vorteil verschaffen. Hätte sie nicht diesen brillanten Einfall mit dem Englandfahrer-Passus gehabt, ihm wäre ein besonders hübscher Trumpf durch die Lappen gegangen. Bei dem Gedanken an die Frau spürte er ein Pulsieren in seinen Lenden. Derzeit gelang ihm alles, was er anpackte. Warum sollte es ihm nicht auch gelingen, sie für sich zu gewinnen, wenn er sie nur an der richtigen Stelle anpackte. Beinahe hätte er laut aufgelacht über seine Wortspielerei. Er wollte endlich ein Weib auf seinem Lager haben. Und er wollte diese Esther. Es musste doch mit dem Teufel zugehen, wenn er sie nicht kriegen sollte.
In aller Ruhe betrat er hinter Reinhardt den düsteren Raum. Der Schreiber war umgehend zu seinem Pult geeilt. Er würde eine hübsche Überraschung erleben.
»Was zum …?«, stieß er auch schon aus.
»Ist etwas nicht in Ordnung?« Felding schlenderte zu ihm hinüber. Währenddessen zog er ganz langsam ein Pergament hervor, die beste Fassung, die je geschrieben worden war. Nämlich von ihm selbst. Auch wenn ihm diese Esther gefiel, würde er ihr den kleinen Vorteil für ihren Geliebten natürlich nicht durchgehen lassen. Und es wäre schließlich auch für sie besser, wenn er, Felding, einen großen Vorteil hatte. Jedenfalls dann, wenn er sich endgültig entschließen sollte, sie zu seinem Weib zu machen.
»Doch, werter Felding, alles ist bestens, bestens«, stammelte Reinhardt. »Ich will nur rasch ein wenig Ordnung machen.« Er griff nach dem Schriftstück, das auf seinem Pult bereitlag, und wollte es schleunigst in einem Regal verschwinden lassen. Dafür, dass er am ganzen Leib flatterte, reagierte er rasch, das musste man ihm lassen.
»Was habt Ihr da?« Es war ihm wahrhaft ein Genuss, ein wenig mit diesem Schwächling zu spielen wie mit einer Maus, die er gefangen und in eine Holzschachtel gesetzt hatte.
»Nichts, nur eine Arbeit, die ein anderer Kaufmann hat schreiben lassen.« Glitzerte da nicht eine Schweißperle auf seiner Stirn?
»Darf ich mal sehen?«
Reinhardt wurde blass. Er setzte zu einer Erwiderung an, fand aber zunächst keine Worte. Er konnte einem fast leidtun.
»Also, wird’s bald?«
»Verzeiht, werter Herr Felding, aber das geht nicht. Ich meine, ich wollte sagen, was würdet Ihr von mir denken, wenn ich Euch ein Schriftstück zu lesen gäbe, das für einen anderen bestimmt ist? Ihr müsstet ja glauben, ich würde auch Eure Dokumente herumzeigen. Dabei fiele mir das niemals ein.«
»Soll ich Euch sagen, bester Reinhardt, was ich von Euch denke? Ich fürchte, ich habe Euch mit der ganzen Angelegenheit auf eine Idee gebracht, und nun habt Ihr Euer eigenes Spielchen getrieben, eine eigene Abschrift verfasst, die Ihr nun vor mir zu verbergen sucht.«
»Wie? Aber nein! Wie sollte ich wohl …?« Seine Wangen färbten sich dunkelrot, das war selbst bei dem schummrigen Licht zu erkennen, und die Stirn glänzte jetzt schweißnass.
»Beweist es! Zeigt mir, dass der Bogen, den Ihr so emsig wegzuräumen im Begriff seid, keine Abschrift der Barbarossa-Privilegien ist, die Ihr irgendjemandem zum Gefallen ein wenig verändert habt. Lasst mich überprüfen, ob Ihr eine Kopie von dem in der Hand haltet, was ich Euch mitbrachte. Jedenfalls nahezu eine Kopie.« Damit legte er seine Version auf das Pult.
»Wie sollte ich denn …? Ich kenne doch nicht einmal den Wortlaut.«
»Kann doch sein, Ihr seid noch einmal zu Marold gegangen. Allein. Ja, natürlich, Ihr seid auf Ruhm und Reichtum aus und wollt sicherstellen, dass die Fassung, wie der Rat sie sich ausdachte, nach Parma gelangt. Ihr wollt die Stadt vor dem Schauenburger retten!«
»Nein, so glaubt mir doch!« Reinhardt blickte mit einem Mal verwirrt drein.
»Narr! Dabei habe ich Euch selbst eine Chance gegeben, mehr Anteil an diesem bedeutungsvollen Geschäft zu haben. Ihr hättet eine Version anfertigen dürfen, aber Ihr wart ja zu feige.«
»Was sagtet Ihr da eben?«
»Zu feige wart Ihr und wolltet nicht.«
»Nein, davor. Ihr sagtet, ich wolle die Stadt vor dem Schauenburger retten. Aber das ist es doch, was Marold und der Rat wollen. Und Ihr habt die Aufgabe von
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