Die unsichtbare Handschrift
Vielleicht setze ich Euch als Bürgermeister ein.«
»Gott bewahre! Nein, ich bin Kaufmann durch und durch. Zudem bin ich Kölner. Ich muss immer mal wieder zurück zum Alter Markt, zur Lint- und Salzgasse. Ich muss meine Klosterkirche Groß St. Martin sehen. Als Kaufmann bin ich schon oft genug in Lübeck, als Bürgermeister wäre ich es auf Dauer. Nein, werter Graf, das ist nichts für mich.«
»Und was wäre etwas für Euch?«
»Mir ist mehr an Barem gelegen.« Er rieb linkisch seine Hände.
»Schön, mir soll’s recht sein.« Adolf wurde ungeduldig. Er betrachtete das Problem offenbar als gelöst und wollte nun vermutlich mit seinem Weib zu Abend essen, wie sie es vorgehabt hatten, als der Fremde, den er Felding nannte, aufgekreuzt war.
»Ich hörte, dass Ihr einen fähigen und vertrauenswürdigen Schreiber beschäftigt, der Eurer Gattin fromme Texte kopiert.« Er sah zu Heilwig hinüber, der seine Listigkeit einen Schauer über den Rücken jagte. Wie konnte ihr Gatte einem solchen Halunken nur trauen? Er würde ohne zu zögern auch Adolf verraten, wenn ihm das zum Vorteil gereichte, dessen war sie sicher. »Ich bringe Euch eine Wachstafel mit dem Wortlaut, den Euer Mann zu verfassen, und mit dem Namen, mit dem er zu unterzeichnen hat. Wie ich in den Besitz komme und wie ich Eure Abschrift gegen die echte austausche, das lasst nur meine Sorge sein.« Damit verneigte er sich zunächst vor dem Grafen und dann auch vor Heilwig und zog sich zurück.
Magnus, der Schreiber und Vertraute ihres Großvaters, sollte benutzt werden, um den Kaiser zu betrügen? Und schlimmer noch, wenn dieser hinterhältige Plan aufginge, wäre Albert von Orlamünde, auf den ihr Großvater so große Stücke gehalten hatte, endgültig verloren. Das musste sie verhindern. Als sie sich mit ihrem Mann an den Tisch setzte und in seine kalten Augen blickte, war Heilwig klar, auf welcher Seite sie stand.
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Lübeck, 2 . April 1226 – Esther
E s war ein herrlich sonniger Tag, recht frisch noch, aber hell und strahlend mit nur wenig Wind. Esther summte ein Lied vor sich hin. Sie war auf dem Weg zur Dombaustelle, um Kaspar, der dort für Baumeister Gebhardt tätig war, seine Hafergrütze zu bringen. Wie angenehm es war, nicht im Schlamm zu versinken. Nach einigen trockenen Tagen war der Sandboden der Wahmstraße wie der der meisten Gassen fest und glatt. Der Unrat war zu den Seiten geschoben worden und stank zum Himmel. Nur noch hier und da gab es Pfützen von den Nachttöpfen, die die Leute am Morgen aus den Fenstern gekippt hatten. Sie schloss für einen Moment die Augen und genoss die Sonnenstrahlen auf ihren Wangen. Als sie in die Straße abbiegen wollte, die vom Koberg zur Baustelle führte, sah sie kurz nach links und erstarrte vor Schreck. Dort stand die blinde alte Frau, die Esther vor einigen Tagen begegnet und die ihr so unheimlich war. Wieder stand sie mitten auf dem Weg und hielt die Hand vorgestreckt, um eine milde Gabe zu erbetteln. Esther wandte den Blick ab und tauchte rasch im Gewimmel der breiten Gasse unter. Sie wollte der Alten um keinen Preis begegnen.
Dann hatte sie ihr Ziel erreicht. Der Baulärm war ohrenbetäubend. Da war ein Hämmern und Sägen, ein Feilen und Quietschen des großen Holzrads, mit dem Lasten in die Höhe gezogen wurden.
»Ich suche den Schreiber Kaspar«, rief sie einem Steinmetz zu, der gerade mit einem Zirkel Maße von einem Mauerstück abnahm. »Er arbeitet für Baumeister Gebhardt.«
»Da drüben«, gab er knapp zurück und deutete auf eine Bretterbude.
Esther kannte sie schon. Meistens war ihr Bruder dort anzutreffen. Manchmal allerdings lief er auch mit Gebhardt über die Baustelle und notierte, was immer der ihm diktierte. Er hatte dann eine Schiefertafel in der einen und ein Stück Kreide in der anderen Hand, malte winzig kleine Buchstaben, um möglichst viel auf die Tafel zu bekommen, und übertrug später in der Schreibstube alles auf Pergament, von dem er zuvor die alten Notizen abgekratzt hatte. Die meisten Aufzeichnungen, die er für den Baumeister machte, waren nicht für die Ewigkeit bestimmt. Darum ließen sich einige Pergamentrollen wieder und wieder verwenden. Esther übernahm häufig das Abschaben, denn es erforderte Fingerspitzengefühl. Ging man zu grob vor oder setzte das Messer zu schräg an, konnte man den kostbaren Beschreibstoff beschädigen, und er war verloren.
Sie klopfte an die einfache Holztür.
»Nur herein!«
»Seid gegrüßt, Meister
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