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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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dich doch wohl in ein Boot trauen.« Schon hielt er auf das Ufer zu.
    Sie schluckte. »So reißend waren die Fluten ja gar nicht.« Sie wollte vor ihm wirklich nicht als Feigling dastehen, wenn das für eine Frau auch keine Schande war, nur war ihr das nasse Element eben so gar nicht geheuer. Sich vom Ufer ein Stückchen hineinzuwagen war eine Sache, die sie schon jede Menge Überwindung gekostet hatte, mit einem schaukelnden Kahn aber ganz hinaus in die Mitte der Trave zu paddeln, war dann ja wohl doch etwas anderes.
    »Ach bitte, Esther, zier dich nicht!« Seine Augen strahlten voller Vorfreude wie die eines Kindes. Oder wie die von Kaspar, wenn sie ihm etwas Gutes zu essen bereitete. Wie sollte sie ihn enttäuschen? Dann fiel ihr etwas ein.
    »Ich würde schon, Vitus, ganz bestimmt, aber im Moment ist es nicht glücklich, weißt du? Es ist nämlich so, dass ich Wurst, Fleisch und Mehl in meinem Korb habe und damit auf schnellstem Weg nach Hause will. Kaspar hat schon sein Morgenessen allein gelöffelt. Er mag gewiss nicht schon wieder auf mich warten.«
    Er hatte das Ufer erreicht, war geschmeidig aus dem Boot gesprungen und hatte es ein Stück auf die Böschung gezogen.
    »Wenn du Fleisch und Wurst für deinen Bruder hast, wird er dir jede Verspätung verzeihen.« Er sah sich rasch um, ob niemand sie beobachtete, nahm sie in den Arm und küsste sie auf die Nasenspitze. »Guten Tag, schöne Frau!«
    »Guten Tag, mein Herr«, erwiderte sie glücklich.
    »Also, was sagst du? Nur eine ganz kurze Runde, ja?«
    »Aber …«
    »Kein Aber. Hast du vergessen, dass ich euch heute einen Besuch abstatte? Wenn Kaspar mit dir grollt, was er ohnehin nie lange aushält, dann werde ich alle Schuld auf mich nehmen. Einverstanden?«
    Ihr Widerstand schmolz dahin. Die Aussicht auf eine gemeinsame Unternehmung war verlockend. Wenn es nur nicht ausgerechnet eine Bootsfahrt gewesen wäre.
    »Ist es nicht noch viel zu kalt? Ich meine, wenn wir umkippen und hineinfallen …«
    »Das hatte ich nicht vor. Weißt du, das Umkippen gehört nämlich nicht zu den Freuden des Ruderns.« Er lachte sie so unbekümmert an, dass sie nicht länger dagegenhalten konnte. Es war ein so herrlicher Tag, da würde gewiss nichts Schlimmes passieren.
    »Also schön.«
    »Ja!« Er packte ihre Taille mit beiden Händen, hob sie hoch in die Luft und wirbelte sie herum.
    »Vitus«, schrie sie, »die Wurst!«
    Er setzte sie auf den Boden. »Es ist alles noch im Korb. Also, meine Dame, wenn ich Sie dann an Bord bitten dürfte.« Er nahm ihr den Korb ab und reichte ihr galant seinen Arm. Esther kletterte in das Boot und setzte sich auf ein schmales Brett, das als Sitzbank diente. Noch wackelte nichts, aber noch lag das Boot ja auch fest am Ufer. Das änderte sich schlagartig, als Vitus es mit aller Kraft auf den Fluss hinausschob. Im letzten Augenblick sprang er hinein. Jetzt schaukelte es entsetzlich.
    »Warum habe ich nur zugestimmt?«, jammerte sie. »Wir werden kentern und ertrinken.«
    »Noch schlimmer, die Wurst wird auf den Grund der Trave sinken«, erwiderte er und riss in gespieltem Entsetzen die Augen auf.
    Sie musste lachen. »Du gemeiner Kerl, mach dich nur lustig über mich.«
    »Niemals«, verkündete er mit einer Unschuldsmiene.
    Nachdem er sich auf die zweite Bank gesetzt und zu rudern begonnen hatte, hörte das Schwanken und Schlingern bald auf. Erstaunlich ruhig glitt das kleine Gefährt über den Fluss. Am Anfang hielt Esther sich mit beiden Händen krampfhaft an dem Brett fest, auf dem sie saß, doch mit der Zeit lockerte sie den Griff ihrer Finger immer mehr. Es war ein schönes Gefühl, über die kleinen Wellen zu gleiten. So müsste es sein, wenn man fliegen könnte.
    »Und? Gar nicht so schlimm, oder?«, wollte er nach einer Weile wissen.
    »Nein, es ist nicht schlimm. Es ist wunderbar, Vitus!« Das war es wahrhaftig. Nicht allein dieses leichte Schweben, sondern auch die lustigen Geräusche, das Glucksen des Wassers unter dem Bootsleib oder das Klatschen, wenn die Ruder eintauchten. Und dann der Anblick der Stadt, wie sie sie noch nie zuvor gesehen hatte. Der Hafen, auf den sie zuhielten, die sonst so vertrauten Gassen, alles schien ihr plötzlich neu und aufregend zu sein. Sie konnte sich gar nicht sattsehen.
    Als Vitus kehrtmachte, protestierte sie, doch er blieb bei seiner Entscheidung.
    »Nur eine kleine Runde, so war es ausgemacht. Du willst Kaspar nicht zu lange warten lassen, und ich habe großen Hunger. Wenn ich dich jetzt nicht

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