Die unsichtbare Handschrift
Gebhardt.«
»Ach, Esther, bringst du deinem Bruder wieder etwas Gutes?«
»Er muss doch bei Kräften bleiben, damit er beste Arbeit für Euch leisten kann.«
»Das ist wahr. Wer viel schafft, soll auch viel fressen!« Er lachte.
Kaspar verdrehte die Augen. Es war offensichtlich, dass es ihm zu viel Arbeit war, die der Baumeister von ihm verlangte. Jedes Mal, wenn er von der Baustelle nach Hause kam, beklagte er sich bei Esther darüber, wie sehr sein Rücken schmerzte und seine Augen brannten.
»Auch mir knurrt der Magen«, sagte Gebhardt gedehnt und strich sich über den Wanst. »Ich werde auch speisen gehen. Wir machen nachher weiter.«
»Ja, Herr«, erwiderte Kaspar wenig begeistert. Esther füllte indessen die Grütze auf den Holzteller, den sie zuvor als Deckel auf der Schüssel getragen hatte. Der Schrecken, den sie beim Anblick der blinden Alten empfunden hatte, war schon wieder vergessen.
»Vielleicht sollte ich auch Diät halten«, brummte Gebhardt beim Anblick des Breis. »Das würde meiner Gicht gut bekommen, sagt der Quacksalber, dem ich mein Geld in den Rachen werfe. Aber ein kräftiges Stück Fleisch ist mir nun einmal lieber«, meinte er, schmunzelte und ließ die beiden allein.
»Das wäre mir auch lieber«, maulte Kaspar und betrachtete die Grütze naserümpfend.
»Wir können uns aber kein Fleisch leisten, das weißt du doch selbst.«
»Ich verstehe nicht, wieso. Gebhardt bestellt mich immer öfter zu sich, und er entlohnt mich anständig. Jedenfalls passabel. Und ich habe dafür gesorgt, dass wir uns vom Hufschmied jederzeit rostiges Metall ohne Bezahlung holen dürfen. Da müsste doch mal ein Pfennig übrig bleiben, oder nicht?« Er zog eine Flappe und spitzte den Federkiel an, der von der Tintensäure schon wieder ganz weich geworden war.
»Wir mussten dir ein neues Hemd kaufen, schon vergessen? Aus deinen anderen bekomme ich die Tintenkleckse nicht mehr heraus. Und sie sind abgewetzt. Damit hättest du dich unmöglich auf der Baustelle des Lübecker Doms sehen lassen können.« Esther war es leid, ihrem Bruder derlei Dinge immer wieder erklären zu müssen. Er konnte manchmal uneinsichtig sein wie ein verzogenes Kind. Außerdem wurmte es sie, dass er sich damit brüstete, dem Schmied die Zusage abgenommen zu haben, dass sie von nun an rostiges Metall holen konnten, ohne dafür zahlen zu müssen. Immerhin war sie es gewesen, die des Schmieds Sohn gerettet hatte, und sie hatte Kaspar erst zu dem Schmied schicken müssen. Von allein wäre er gewiss nicht gegangen.
»Ich verlange ja keinen Fasan«, grollte er leise, während er lustlos seinen Löffel aus dem Gürtel zog und in der Grütze herumzustochern begann. »Aber für ein paar Rüben mit Speck müsste es doch mal reichen.«
Esther wollte ihn anfahren, besann sich aber. Er meinte es ja nicht böse. Es war für ihn nicht leicht, von Gebhardt ständig unter die Nase gerieben zu bekommen, welche herrlichen Köstlichkeiten sein Weib ihm aufgetischt hatte. Kaspar hatte nicht einmal ein Weib. Ob er gerne ein Mädchen hätte? Sie meinte, er habe ein Auge auf Malwine, die Tochter des Wirts, geworfen. So recht zugegeben hatte er das bisher jedoch nicht.
»Ich will sehen, was ich für wenig Geld bekommen kann. Du hast schon recht, ein paar Rüben mit etwas Speck sollten wir uns zwischendurch einmal leisten können.«
Das Strahlen seiner Augen ließ ihren Groll auf ihn vollends verfliegen.
Esther machte sich auf den Weg hinaus aus der Stadtmauer zum Dorf, das nicht weit vor den Toren Lübecks lag. Sie würde Kohl kaufen und versuchen ein paar Würste zu erstehen oder wenigstens Schweinepfoten. Wieder summte sie ein Lied und betrachtete erfreut das Meer winziger gelber Blumen, das sich links und rechts des Weges erstreckte. Sie waren spät dran. Selbst diesen frühen Gesellen war es in diesem Jahr wohl zu kalt. Noch immer lag hier draußen an einigen Stellen ein Restchen Schnee, der nun jedoch zusehends schmolz.
»Seid Ihr nicht das Weib, das mutig ist wie ein Mann und kleine Kinder aus der Trave zieht?«, hörte sie plötzlich eine tiefe Stimme fragen. Sie blickte auf und erkannte den Müllerssohn, der ihr geholfen hatte, Petter aus dem Fluss zu fischen.
»Und Ihr seid der Mann, der verzweifelten Lebensretterinnen zu Hilfe eilt, wenn ich mich recht entsinne«, entgegnete sie gut gelaunt. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er ihr auf dem Weg entgegengekommen war, so sehr war sie in ihre Gedanken vertieft gewesen und so sehr hatte der
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