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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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führt, haben wir keine Möglichkeit, ein Sätzchen einzufügen.«
    Sie stand auf, ging um den Tisch herum und schlang ihm von hinten die Arme um den Hals. Ihre Lippen an seinem Ohr, flüsterte sie: »Es sei denn, Marold wäre für ein paar Augenblicke abgelenkt, und ich würde dieses Sätzchen einfügen. Natürlich müsste ich zuvor etwas von ihm Geschriebenes haben, damit ich den Schwung seiner Buchstaben üben könnte.«
    Er schob sie erschrocken ein Stück von sich und sah ihr ins Gesicht. Als er die Erheiterung in ihren Zügen erkannte, stieß er erleichtert die Luft durch die Nase aus. »Für einen winzigen Moment meinte ich, es ist dir ernst.«
    »Du hast mit diesen Gedankenspielen begonnen«, erinnerte sie ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

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    Lübeck, 3 . April 1226  – Esther
    W o hat Kaspar nur seinen Kopf?« Otto griff nach einer Handvoll Gänsekiele und hielt sie in die Höhe. »Ohne die hier lässt sich die Tinte wohl kaum auf das Pergament bringen. Erst spitzt er sich neue Werkzeuge, dann lässt er sie liegen. Da wird der Dombauherr einen schönen Aufstand machen.« Er sah Esther an, die mit einem alten Lumpen die Tische putzte. Die hölzernen Fensterläden der kleinen Schreibstube waren weit geöffnet, damit das Licht der Sonne, die an diesem Morgen von einem blauen Himmel strahlte, hineinkonnte. Die Morgenluft war frisch und kühl. »Esther, liebes Mädchen, bist du so gut und bringst deinem Bruder die Gänsekiele?«
    Sie legte den Lumpen beiseite. »Natürlich, Otto. Ich werde ihm auch gleich einen Kanten Brot und eine halbe Wurst bringen. Vielleicht beflügelt ihn das, besser auf seine Sachen zu achten.«
    »Nur gut, dass sein Hinterteil angewachsen ist, sonst würde er wohl auch das noch vergessen und müsste den ganzen Tag stehen.«
    Sie lachte. »Du bist zu streng. So oft kommt es nun auch nicht vor, dass er etwas vergisst. Und stehen muss er ohnehin.«
    Er schnaufte übertrieben. »Bist ein liebes Mädchen«, sagte er. »Kaspar kann froh sein, dass er dich hat.« Damit drückte er ihr das Werkzeug in die Hand. »Ohne dich hätte er erst gar keine Arbeit. Ich wünschte, ich hätte auch so eine Schwester.«
    »Du hast deine Frau«, erinnerte sie ihn.
    »Leider! Ich weiß nicht, warum Gott der Herr mich so hart bestraft.« Otto war klein und hatte einen krummen Rücken, der seine jahrelange Tätigkeit als Schreiber offenkundig machte. »Meine Alte ist nicht einmal in der Lage, unsere Schweine zu hüten. Zu fein ist sie sich dafür. Statt mir zu helfen, liegt sie mir alle Tage in den Ohren, welche Kleider und Spangen sie sich wünscht. Mein Bruder hat mich gewarnt. Er meinte, sie sei zu hübsch, um sie zur Frau zu nehmen. Und ich dachte, er ist nur neidisch, gönnt mir die zarte Knospe nicht, die sämtliche Kerle mit Stielaugen angeglotzt haben.« Stöhnend nahm er ein Fläschchen Tinte von seinem Regalbrett und füllte etwas in das Kuhhorn, das in dem Loch seines Pults steckte. »Dabei hat er recht gehabt. Leidenschaftlich für ein hübsches Weib zu brennen taugt nicht als Grundlage für die Ehe.«
    »Aber du hast sie doch gewiss geliebt, oder nicht? Was soll daran wohl schlecht sein?«
    »Liebe ist Leids Anfang, glaube mir. Aus der zarten Knospe ist ein hässliches Gewächs geworden. Wahrscheinlich macht sie mir tagaus, tagein die Hölle heiß, damit sie bald zur Witwe wird und mein Hab und Gut für sich alleine hat. Als ob bei mir etwas zu holen wäre.« Er tauchte einen Federkiel in die Tinte und wedelte mit der linken Hand, ohne sie anzusehen. »Nun mach, dass du fortkommst, damit Kaspar seine Arbeit nicht wieder verliert.«
    Esther verließ das Querhaus in der Depenau. Statt den Hügel hinauf und auf schnellstem Weg zum Dom zu laufen, wählte sie den Umweg hügelabwärts und an der Trave entlang. Sie redete sich ein, dass es ihr einfach besser gefiel, einen Blick auf den Salzhafen werfen zu können, wo die Fässer gerollt wurden und sich die Segelschiffe auf dem Wasser wiegten. Doch in Wahrheit wollte sie um jeden Preis vermeiden, der alten Frau noch einmal zu begegnen, die ihr so unheimlich war. Allein der Gedanke an die milchig blinden Augen, die schrille Stimme und vor allem an die beunruhigenden Worte ließen sie schaudern.
    Mit jedem Schritt, den sie in Richtung Dom machte, wurde der Lärm der gewaltigen Baustelle stärker. Eine Reihe Steine wurde nach der anderen aufeinandergesetzt. Das Gebäude wuchs und wuchs. Esther bewunderte, wie exakt die akkurat gebrannten Brocken

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