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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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alle Dämme, und Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie schluchzte und schlug die Hände vors Gesicht.
    »Na, na, so schlimm?« Er stand auf. »Mir scheint, Ihr könnt eine heiße Suppe vertragen.« Ohne ihre Zustimmung abzuwarten, löffelte er mit einer hölzernen Kelle Gerstensuppe aus dem Kessel, der über dem Feuer hing, in eine Schale, stellte die vor sie hin und legte ihr einen Holzlöffel dazu.
    Verstohlen wischte sich Esther mit dem Ärmel Nase und Augen trocken. Sie musste sich beruhigen. Liebend gern würde sie sich ihren Kummer von der Seele reden, aber sie wusste, dass sie das nicht durfte. Ihr Verstand hatte endlich wieder eingesetzt, und es war ihr sehr bewusst, dass dieser Mann, sei er auch noch so freundlich, ein Fremder war. Gerade erst war sie auf die schönen Worte und die guten Manieren des Kaufmanns Felding hereingefallen. So etwas durfte ihr keinesfalls noch einmal passieren.
    »Nun esst erst einmal«, sagte Norwid, der sich wieder gesetzt hatte. »Ihr könnt es gebrauchen, dünn, wie Ihr seid.«
    Sie musste an Vitus denken, der kürzlich das Gleiche zu ihr gesagt hatte. Sie müsse mehr essen, damit sie ihm einen Sohn schenken und den auch satt kriegen könne, hatte er gesagt. Beinahe hätte sie wieder aufgeschluchzt. Sie würde nie die Mutter von Vitus’ Kindern werden. Besser, sie gewöhnte sich an diesen Gedanken. Die Suppe duftete herrlich. Sie holte tief Luft und kostete davon.
    »Wildschwein?«, fragte sie ungläubig, nachdem sie einen Brocken Fleisch aus der Schale gefischt hatte.
    »Ja, denkt Euch nur, es ist neben unserer Mühle tot zusammengebrochen. Wir hätten es liebend gern unserem Lehnsherrn gebracht, nur wäre es vermutlich verdorben, bevor wir es ihm hätten geben können.« Er setzte eine Unschuldsmiene auf und lächelte ihr verschmitzt zu.
    Auch Esther musste lächeln. »Es ist köstlich. Ihr habt gewiss richtig gehandelt.«
    Er lachte leise und nickte. Dann sagte er ernst: »Es ist gut, Euch wieder lächeln zu sehen.«
    Während sie die Schale leerte, sprachen sie nicht viel. Norwid erzählte, dass es für das Getreide zu nass und zu kalt sei. Sein Vater und er würden sehnsüchtig auf ein paar trockene Tage und auf Wärme warten. Dann gebe es eine gute Ernte.
    Esther hörte ihm zu und sagte, dass das nasse Wetter auch für das Skriptorium schlecht sei. »Das Pergament quillt und wellt sich. Unmöglich, lange an einer Schreibarbeit zu sitzen.« Als sie die Suppe gegessen hatte, sagte sie: »Ich danke Euch für die schmackhafte Stärkung.« Nach einer winzigen Pause fügte sie hinzu: »Verzeiht mein gänzlich unpassendes Auftauchen und sonderbares Verhalten. Ich weiß ja selbst nicht, warum ich ausgerechnet hierherkam.«
    »Ich wüsste nicht, was es zu verzeihen gäbe. Wie ich vorhin schon sagte, ich freue mich über Euren Besuch. Wenn ich Euch auch gern fröhlicher angetroffen hätte.«
    »Es gab einen Streit«, begann sie zaghaft. Sie erzählte von Vitus, davon, dass sie hätten heiraten wollen, wenn seine Geschäfte nur besser liefen. Sie berichtete auch von dem Besucher im Skriptorium, der einen äußerst lohnenden Auftrag für ihren Bruder in Aussicht gestellt habe, und von der Begegnung zwischen ihm und Vitus, der die Lage missverstanden habe.
    »Er hat mir furchtbare Dinge an den Kopf geworfen, und dann hat er Lebewohl gesagt und ist gegangen«, schloss sie.
    Er strich über seinen blonden Bart, während er ihr zuhörte. »Ich kann ihn wohl verstehen«, meinte er schließlich. »Die eigene zukünftige Braut allein mit einem Fremden, der sie noch dazu unschicklich berührt. Ich für meinen Teil würde nicht wagen, Eure Wange zu streicheln.«
    »Ich gebe ja zu, dass er damit zu weit gegangen ist. Doch ging alles wie von allein. Ich meine, er hat mich nicht um meine Einwilligung gebeten, wie Vitus unterstellt hat. Er hat es einfach getan, und es erschien mir in diesem Moment auch ganz natürlich. Er war einfach dankbar, dass ich ihn bei diesem Wolkenbruch nicht vor die Tür gesetzt habe.«
    Er schnaubte verächtlich. »Das scheint mir mehr ein Vorwand gewesen zu sein, um Euch zu berühren. Mein Ihr nicht? Euer Verlobter jedenfalls könnte es so gesehen haben.«
    »Aber wie hätte ich es denn verhindern sollen? Dieser Fremde hat mich ja nicht gefragt. Und er war zuvor in keiner Weise anzüglich.« Sie fühlte Hitze in ihre Wangen schießen, denn das war eine glatte Lüge gewesen. »Ich hatte keinerlei Grund, mich unbehaglich zu fühlen, allein mit ihm im Skriptorium.«

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