Die unsichtbare Pyramide
Schaf, ein kleines Lämmchen, das so hieß.«
»Du bist Hirte?«
»Ich bin vieles.«
»Das stimmt. Im Moment bist du mein Patient.«
»Mir ist noch gar nicht aufgefallen, dass es im Heerlager auch Mädchen gibt.«
»Auf seinen Raubzügen lässt der Herr Molog alles Mögliche mitgehen.«
»Du bist eine Gefangene?«
»Aus freien Stücken wäre ich gewiss nicht hier.«
»Und kümmerst dich um die Verletzten?«
»Um dies und das. Cord von Lizard hat mich rufen lassen, um dich zu versorgen.«
»Die rechte Hand des Kriegslords?«
»Dieselbe, die dich ins Reich der Träume geschickt hat.«
»Cord war das?«
»Ja«, meldete sich plötzlich jemand, den Trevir nicht sehen konnte. Er versuchte den Kopf zu drehen und scheiterte abermals am Schmerz. Alsbald erschien über ihm ein hoch gewachsener, breitschultriger Krieger, der forschend auf ihn herabsah. Dem Gesicht nach, dessen Haut ledrig und voller Narben war, mochte er um die fünfzig Jahre alt sein, aber seine aufrechte Haltung und der wache Blick seiner tiefbraunen Augen straften diesen Eindruck Lügen. Hinter dem rechten Ohr des bärtigen, dunkelhaarigen Mannes ragte ein Schwertgriff hervor. Nachdem er Dwina fortgeschickt hatte, stellte er sich vor.
»Mein Name ist Cord von Lizard. Wie geht es dir?«
Trevir holte tief Luft. Also das war Mologs berühmter Waffenmeister! »Bescheiden, Herr. Wie ich hörte, habe ich das Euch zu verdanken.«
»Es war die einzige Möglichkeit, dein Leben zu retten, Trevir.«
»Dann muss ich mich für den Hieb wohl bei Euch bedanken.«
Cord nickte mit seltsam verschleierter Miene. »Ich bin sehr beeindruckt von der Leichtigkeit, mit der du Wulf den Dolch abgenommen hast.«
Trevirs Nackenhaare sträubten sich. Hat er es gesehen? »Das war Glück.«
»Ah! So nennt man das also.« Nun wirkte Cord amüsiert. »Du hast einen seltenen Namen, Junge.«
Trevir zögerte. Sollte das ein Verhör werden? »Für mich ist es der einzige, den ich je hatte.«
»Featherbeard sagte mir schon, dass du ein kluger Kopf bist. Wenn ich dich reden höre, muss ich ihm Recht geben. Hast du eine geistige Erziehung genossen?«
Trevir biss sich auf die Unterlippe.
Wieder nickte Cord, aber diesmal auf eine tiefgründig wissende Art. Bevor er seine nächste Frage stellte, wanderte sein Blick zu einem Punkt, der sich aus der Perspektive des Patienten über dessen Scheitel befand. »Hast du je etwas von einem Mann namens Aluuin gehört?«
Kalter Schweiß trat auf Trevirs Stirn. Und ob das ein Verhör ist!
War dieser Cord von Lizard etwa bei der Mordbande gewesen, die seine Brüder abgeschlachtet hatte? Er musste auf der Hut bleiben. »Ich komme aus Eire. Da ist dieser Name keine Seltenheit.«
»Was du nicht sagst!« Cord lächelte und gab sich nicht die geringste Mühe, überzeugt zu wirken.
»Warum fragt Ihr mich nach… Wie hieß der Mann doch gleich?«
»Aluuin. Er war das Oberhaupt einer Bruderschaft, die sich der Dreierbund nennt.«
»Ach! Soweit ich weiß, gibt es den nicht mehr. Man erzählt sich, Mologs Gefolgsleute hätten die Einsiedler von Sceilg Danaan umgebracht.«
»So, so. Das erzählt man also. Ich frage mich, woher man das weiß?«
Trevir stockte. Dieser Fuchs hatte eine gefährliche Zunge. Sein Blick wanderte zu dem Griff, der hinter Cords Ohr hervorlugte. »Nun… Man hat ein riesiges Schwert gefunden, wie es nur die Krieger des Schwarzen Heeres benutzen.«
Zum ersten Mal wurde die Gelassenheit des Waffenmeisters durchscheinend und ließ Überraschung erkennen. »Bei dem Unternehmen ist tatsächlich ein Schwert verloren gegangen. Ich selbst war damals nicht dabei, aber man hat es mir berichtet, weil es eine der wichtigsten Regeln bei uns ist, weder Männer noch Ausrüstung zurückzulassen. Wer hat dir von dem Fund erzählt?«
Trevir tat eine Weile so, als dächte er angestrengt nach. Schließlich zuckte er die Achseln, verzog vor Schmerz das Gesicht und sagte: »Ich war Geselle bei einem fahrenden Bader. Da trifft man jeden Tag andere Leute.«
»Was macht deine Schulter?«
Siedend heiß fiel Trevir das Feuermal ein. Das Mädchen Dwina musste es gesehen haben, als sie ihn verband. Ob auch Wulf oder Cord…? »Ich… Eigentlich… Gut!«, war alles, was er als Antwort hervorbrachte.
Cord schwieg. Seine tiefbraunen Augen funkelten wie magische Steine, vor denen nichts verborgen blieb. Der junge Hüter fühlte sich auf unangenehme Weise nackt. Schließlich gab ihn der Blick des schwarzen Kriegers frei und wanderte noch einmal
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