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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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zu jenem rätselhaften Punkt oberhalb von Trevirs Gesichtsfeld. Ohne davon abzulassen, sagte Cord: »Genieße diese Nacht im Zelt. Ab morgen wirst du bei den Männern unter freiem Himmel schlafen.« Der Waffenmeister wandte sich um und ging hinaus.
    Trevir wartete, bis er allein war. Dann stemmte er sich – ungeachtet der Schmerzen – auf den rechten Ellbogen und legte den Kopf in den Nacken, um endlich hinter sich zu blicken. Was hatte Cord von Lizard dort so interessiert? An der Zeltwand war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Im Boden steckte nur Aluuins Stab.
     
     
    Im Morgengrauen wurden die Zelte abgebrochen und das Schwarze Heer zog in lockerer Formation nach Osten. Es bestand aus einer etwa tausend Mann starken Reiterschaft, der Rest war Fußvolk. Trevir marschierte wie von Featherbeard angekündigt im hinteren Abschnitt, unmittelbar vor dem Vieh. Molog, der die Armee anführte, hatte er nur einmal kurz von weitem gesehen.
    Das Wetter zeigte sich so launisch, wie man es von der Jahreszeit erwartete: Mal schien die Sonne, im nächsten Augenblick durchnässte ein Regenschauer die Marschierenden, dann kehrte das wärmende Licht des Frühlings zurück. Der Tross durchquerte einen Flickenteppich aus Wäldern und Grasland. Jedes Mal wenn Trevir einen Hügelkamm überschritt, hielt er nach dem riesigen Kentish Weald Ausschau, doch die grüne Quiltdecke erstreckte sich in alle vier Himmelsrichtungen, so weit das Auge reichte. Zwischendurch verfiel er immer wieder in tiefes Grübeln und nahm seine Umgebung nur am Rande wahr.
    Die Ereignisse des letzten Tages wollten ihm nicht aus dem Kopf gehen. Hatte Cord von Lizard ihn durchschaut? Kannte Mologs Waffenmeister das Geheimnis des Feuermals? Wie kam es, dass Wulf genau das gleiche Zeichen am Körper trug wie der letzte Überlebende des Dreierbunds? Brüder im Geiste – wie Aluuin, Taarndol oder Qennouindagnas – konnten sie nicht sein, aber waren sie womöglich blutsverwandt? Abgesehen von dem Mal hatten sie herzlich wenig Ähnlichkeit miteinander. Oder war auch Wulfweardsweorth ein Findelkind, das die Turbulenzen des Triversums nach Trimundus gewirbelt hatten? Besaß er dieselben Fähigkeiten wie Trevir? Oder verfügte er über andere besondere Gaben? War auch er ein Empfänger? Konnte es sein…?
    »Wie finster der junge Krieger dreinschaut.« Die weiche, leicht rauchige, aber unüberhörbar spöttische Stimme, die Trevir aus den Gedanken gerissen hatte, kam ihm bekannt vor. Er wandte sich nach links.
    »Dwina!«
    »Das Lämmchen.« Sie schmunzelte auf eine durchaus entzückende Weise. Zum ersten Mal konnte Trevir sie vollständig betrachten und ohne das betäubende Schädelbrummen der letzten Nacht. Dwina trug ein langärmeliges, enges, braunrotes Oberteil, das über der Brust von unzähligen Knöpfen zusammengehalten wurde, und einen glockenförmigen Rock aus dem gleichen Stoff. Ihr blondes Haar wallte bis weit über ihre Schultern hinab. Auf ihrem Kopf saß ein Leinenhäubchen wie ein kleiner weißer Vogel. Das Mädchen erwiderte offen seinen überraschten Blick und fügte hinzu: »Wie geht es deinem Arm?«
    »Gut. Vielen Dank noch einmal. Du hast ihn bestens versorgt.«
    »War mir eine Ehre, großer Krieger.«
    »Mein Name ist Trevir und ich bin genauso unfreiwillig zu diesem Heer gekommen wie du – fast jedenfalls.«
    »Wie kannst du das behaupten?«, erwiderte Dwina überraschend schroff.
    »Entschuldige, falls ich etwas Falsches gesagt habe.«
    Dwinas Anflug von Ärger wich einem spitzen: »Immerhin brauchst du keine Ziegen zu hüten und Wunden zu nähen.«
    Trevir registrierte erleichtert ein amüsiertes Funkeln in ihren großen Augen. Er drehte sich demonstrativ um. »Ich sehe keine Ziegen.«
    »Sie sind ganz hinten. Ich habe mir nur kurz freigenommen, um nach dir zu sehen… Nach deiner Schulter, meine ich.«
    »Das ist lieb von dir. Wer hat dir beigebracht, wie man aufgeschlitzte Burschen zusammenflickt?«
    »Mein Vater. Er war Medicus in Ilfracombe.«
    »War?«
    Erneut überschatteten dunkle Wolken Dwinas Gesicht. »Molog hat ihn umgebracht.«
    »Das tut mir Leid. Zwei von meinen Vätern ging es genauso.«
    »Zwei? Soll das heißen, du hast noch mehr als nur die beiden?«
    Trevir seufzte. »Wenn ich das wüsste!«
    »Ich glaube, du leidest unter den Nachwirkungen des Schlags, den dir der Herr Cord verpasst hat.«
    »Ich würde mich gerne noch einmal von ihm schlagen oder von Wulf verletzen lassen, wenn du mich wieder pflegst.« Trevir hatte sich über

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