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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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die Jahre der Wanderschaft hinweg eine erstaunliche Arglosigkeit bewahrt. Er musste noch vieles über das andere Geschlecht im Allgemeinen und im Besonderen über Dwina lernen, die im Lager ständig von irgendwelchen Gesellen lüsterne Blicke zugeworfen bekam. Zumindest überraschte ihn ihre heftige Reaktion.
    »Du bist unverschämt, Trevir!«, zischte sie und ihre meerblauen Augen blitzten bedrohlich. Ihr langer Rock blähte sich auf, als sie herumwirbelte und davonstob.
    »Ich habe doch nur gesagt, was ich fühle«, rief er ihr noch hinterher. Aber sie war schon zwischen Kühen und Wagen verschwunden.
    Knapp eine Woche war vergangen, in der Trevir das heilkundige Mädchen nur aus der Ferne gesehen hatte. Er vermisste sie. Was hätte er dafür gegeben, sich noch einmal mit ihr zu unterhalten! Einige Zeit überlegte er ernsthaft, sich eine Verletzung beizubringen, irgendetwas, das hinreichend blutete, um sich von ihr verbinden zu lassen. Manchmal erzählte ihm Featherbeard beim Marschieren stundenlang irgendwelche Soldatengeschichten und er bekam nicht das Geringste mit. Selbst wenn Trevir sich nachts erschöpft unter seiner Decke zusammenrollte und mit dem Schlaf rang, musste er an sie denken. Natürlich träumte er auch von Dwina. Fühlte es sich so an, wenn man verliebt war?
    Leider schien sie seine Gefühle nicht zu teilen, denn sie ging ihm aus dem Weg. Ab und zu hatten sich zwar ihre Blicke gekreuzt, aber mehr ließ sie nicht zu.
    Trevir marschierte an diesem Morgen im vorderen Drittel des Heerzugs neben Featherbeards Pferd dahin, die Augen starr auf den matschigen Weg gerichtet; es hatte in der Nacht geregnet. Seit dem Frühstück erklärte sein Waffenpate ihm nun schon Tricks, »um im Schlachtgetümmel nicht den Kopf zu verlieren« – der Recke war sichtlich stolz auf dieses Wortspiel.
    »Hast du je um dein Leben kämpfen müssen?«, fragte er unvermittelt.
    Trevir unterdrückte einen Schauer, als die Bilder der schrecklichen Nacht auf Sceilg Danaan in ihm aufstiegen. Ausweichend erwiderte er: »Eigentlich bin ich ein Pilger.«
    »Und schließt dich dem Schwarzen Heer an? Das soll wohl ein Witz sein!«
    »Meine Pilgerschaft ist eher von metaphorischem Gepräge.«
    Der Krieger stutzte. Erwartungsgemäß konnte er mit dieser Antwort nicht viel anfangen, obwohl er angestrengt darüber nachdachte.
    Trevir nutzte den Moment der Verwirrung für einen raschen Themenwechsel. »Warum bist du Krieger im Schwarzen Heer und nicht Bauer oder Schmied, Featherbeard?«
    Das Gesicht des Recken verdüsterte sich. »Mein Vater war Bauer.«
    »Na also!«
    »Molog hat ihn getötet.«
    »Oh! Entschuldige, ich wollte dich nicht…«
    »Du konntest es nicht wissen.«
    »Ehrlich gesagt, verstehe ich jetzt noch viel weniger, warum…«
    »Warum ich zu Mologs Kundschaftern gehöre?« Featherbeard lachte rau. »Ich war ungefähr in deinem Alter, als das Schwarze Heer in unser Dorf einfiel und mich einfach mitnahm. Der Kriegslord behandelte mich streng, aber gerecht. Wie ein Vater. In gewisser Hinsicht ist er das für alle seine Männer.«
    »Man könnte glauben, du hast ihn richtig lieb.«
    Featherbeard besaß kein besonders feines Gespür für Ironie. Seine schwarzen Augenbrauen zogen sich zusammen, während er angestrengt über den Sinn von Trevirs Worten nachsann. Schließlich entgegnete er: »Molog sagte mir, der Tod meines Vaters sei ein Unfall gewesen und es tue ihm Leid. Ich respektiere den Herrn. Anstatt mich zu töten, hat er mir etwas zu essen und einen Platz unter seinen Kriegern gegeben. Ohne ihn wäre ich ein hungernder Niemand.«
    »Aber frei. Durch ihn bist du ein satter Leibeigener. Es fällt mir schwer, deinen Standpunkt nachzuvollziehen, Featherbeard. Ich würde den Mörder meines Vaters jagen und alles daransetzen, das Blut von seiner Hand zu fordern.« Trevir biss sich auf die Unterlippe. Derartige Reden konnten ihm Kopf und Kragen kosten. Seine Gefühle waren mit ihm durchgegangen, weil Featherbeards Geschichte ihn an die eigene erinnert hatte. Und an Aluuin.
    Das Gesicht des Recken blieb ausdruckslos, als er leise erwiderte: »Kann sein, dass mein Respekt gegenüber Molog hauptsächlich aus Angst besteht. Manchmal habe ich daran gedacht, ihm mein Schwert in den Leib zu rammen oder ihm einen Pfeil ins Herz zu schießen. Aber dazu hätte ich Cord von Lizard überwinden müssen, was einem Selbstmord gleichgekommen wäre, jedenfalls für einen Bauernjungen wie mich. Inzwischen lässt sich Molog von seinem Ziehsohn

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