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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Verfolgern entfernten, erzählte Trevir dem Mädchen seine Geschichte, angefangen bei der Blutquelle von Annwn bis zu dieser Nacht.
    Als der Morgen graute, liefen sie immer noch. Wie sich nun zeigte, waren sie fast parallel zur Grenze der Verbotenen Stadt entlangmarschiert. Trevir blieb an einem schwarzen Pfad stehen, dessen Beschaffenheit ihn an Pech erinnerte, obgleich er körnig und sehr viel härter war. Der Weg führte mitten in den Wald. Sommer und Winter, Hitze und Kälte, vor allem aber auch die Wurzeln der Bäume hatten ihn an unzähligen Stellen aufgesprengt. Überall quoll frisches Grün hervor. Seit vielen Generationen schien niemand mehr, außer vielleicht ein paar Füchsen, Hasen und Rehen, diese Straße benutzt zu haben. Die Augen des Hüters folgten ihr in Richtung Osten. Über den Ruinen konnte er undeutlich die zerstörte Kuppel sehen, die ihm schon bei ihrer Ankunft aufgefallen war. Er fällte einen Entschluss.
    »Ich muss dorthin.«
    »Etwa in die Verbotene Stadt?«, fragte Dwina bang.
    »Da können wir uns besser verstecken.« Das musste als Grund genügen. Trevir wollte sie mit seinen Ahnungen, die Kuppel betreffend, nicht noch zusätzlich beunruhigen.
    »Wieso?«
    »In einer Steinwüste hinterlässt man weniger Spuren als in einem Wald. Außerdem ist Molog nicht sogleich in sie eingedrungen. Es mag Gründe geben, die Stadt zu meiden.«
    »Gelten die dann nicht genauso für uns? Ich habe gehört, die Stadt soll verzaubert sein.«
    »Das wird vom Kentish Weald auch behauptet. Komm, lass uns nachsehen, wo dieser Pfad hinführt.«
    Mit einem Ruck wurde Dwina aus ihren Bedenken gerissen – Trevir hatte sie wieder an der Hand genommen und mit sich gezogen.
    Nach kurzer Zeit näherten sie sich den ersten Gebäuden. Sie bestanden aus gebrannten Backsteinen, ein Baumaterial, das Trevir bisher nur von den prachtvollen Palästen reicher Leute kannte. Aber diese Häuser hier waren nicht sehr groß und bildeten, eines an das andere gefügt, zu beiden Seiten der Straße eine lange Gasse. Jedes glich seinen Nachbarn wie ein Ei dem anderen. Ihre Fensteröffnungen blickten leer auf den rissigen Straßenbelag. Hier und da entdeckte Trevir in ihnen trübe Reste von Glas, auch das ein sehr kostspieliges Material, das sich selbst Burgherren nur selten leisteten, und schon gar nicht in der enormen Größe, welche die Scheiben hier besessen haben mussten. Nun waren sie fast ausnahmslos zerstört. Auch keines der Dächer hatte die an der Verbotenen Stadt vorbeigezogenen Jahrhunderte unbeschadet überstanden.
    Vor dem ersten Gebäude ragte am Straßenrand eine hohe Steintafel auf, die vor langer Zeit die Reisenden willkommen geheißen hatte. Trevir fühlte sich unvermittelt in alte Legenden versetzt, als er dort von einem längst untergegangen Reich las: »Hauptstadt von Britannien, autonome Provinz des Römischen Imperiums«, verkündete stolz das Schild unter dem in großen Lettern eingemeißelten Namen:
     
    LONDON

 
    11
    An der Pforte von Avalon
    Erde
     
     
     
    Hätte es nicht dieses sonderbare Erlebnis gegeben, wäre der Besuch Irlands eine Enttäuschung gewesen. Vielleicht war dieser Eindruck ja auch eine Folge von Franciscos beginnender Pyramidenmüdigkeit. Anfangs hatte er sich noch überraschen lassen, weil Vicente ihm ständig neue Variationen dieses Baustils zeigte. Bis dahin war für den franziskanischen Schüler eine Pyramide gleichzusetzen mit den monumentalen Bauwerken am Nil und Euphrat sowie in Mittel- oder auch Südamerika. Aber es gab die Bauwerke mit der dreieckigen Silhouette auch anderswo, etwa in Europa – auf den Kanarischen Inseln hatte Francisco sie selbst bestiegen – oder im Norden des amerikanischen Kontinents.
    Hierhin führte Vicentes schier unerschöpflicher Geldvorrat sie, nachdem sie einige uralte Kultstätten auf Malta ergebnislos sondiert hatten. In den Vereinigten Staaten von Amerika waren die besuchten Monumente aus unvorstellbaren Mengen Erde aufgeschüttet und wurden Mounds genannt. Vor den Toren von St. Louis, in Missouri, hatte Francisco die Überreste von Cahokia bestaunt, der »Sonnenstadt«, die in ihrer Blüte von etwa 1000 bis 1150 nach Christus größer als das damalige London oder Rom war. Ursprünglich gab es hier einhundertzwanzig Mounds. Francisco hatte von den noch etwa achtzig verbliebenen Erdhügeln einige bestiegen, darunter auch den riesigen Monks’ Mound. Dieser »Mound der Mönche« sah wie eine stufige Pyramide aus und umfasste an der Basis

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