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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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sechzigtausend Quadratmeter, war damit also größer als jede Pyramide Ägyptens oder Mexikos.
    Vicente hatte seinen »Kompass« – Francisco – aus verschiedenen Gründen auf diese Stätte angesetzt: Zum einen gab es in Cahokia eine Tafel, auf der ein Vogelmensch abgebildet war – nach Ansicht des Archäologen ein möglicher Hinweis auf einen Austausch zwischen den Welten des Multiversums –, und zum anderen, weil die Wissenschaft immer noch rätselte, wer die Bewohner der Sonnenstadt zu ihrer kulturellen Blüte und später wieder in den Untergang geführt hatte. Fast schien es so, als sei die ganze Zivilisation der Stadt am Zusammenfluss von Mississippi, Missouri und Illinois aus einer anderen Welt zu Besuch gekommen, um nach fünfhundert Jahren – vor Ankunft der weißen Eroberer aus Europa – wieder abzureisen. Um es kurz zu machen: Francisco hatte auch hier nichts gespürt.
    Ähnlich erging es ihm in Mittel- und Südamerika. Auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan hatte ihm sein Bruder die große Kukulcan-Pyramide von Chichen Itza gezeigt. Unter ihrer Außenfläche war noch eine weitere, verborgene, eine innere Pyramide versteckt. »Man könnte sie auch als ›unsichtbare Pyramide‹ bezeichnen. Na, klingelt’s bei dir?«, hatte Vicente in fast beschwörendem Ton nachgehakt. Francisco lauschte in sich hinein, aber er hörte nicht den leisesten Laut, geschweige denn irgendein Bimmeln.
    Und so ging es weiter. Von Lima in Peru flogen sie nach Paris und fuhren mit einem Mietwagen in die Bretagne. Dort musste Francisco die große Keltenpyramide von Barnenez »beschnuppern« – die Bretonen nannten ihre monolithischen Steingräber »Cairn«. Anschließend folgte Carnac, wo dreitausend Menhire – aufrecht stehende Steinblöcke – die Landschaft verzauberten. Danach kam der Tumulus St. Michael an die Reihe, Europas größter Grabhügel, nur unzulänglich seine wahre Gestalt verbarg – es handelte sich um eine wohlgeformte und sorgsam konstruierte Stufenpyramide. Aber auch hier wollte sich bei Francisco nicht jenes Gefühl einstellen, das sein Bruder einerseits als »unbeschreiblich«, andererseits jedoch als »unverwechselbar« bezeichnete. Zum x-ten Mal wiederholte er: »Eine Kompassnadel weiß auch nicht, warum sie sich nach Norden orientiert, aber sie tut es trotzdem. Du wirst genauso selbstverständlich reagieren, wenn wir erst einen der Angelpunkte gefunden haben, an denen das Multiversum zum richtigen Zeitpunkt zusammengebunden werden kann.«
    Mit solchen vagen Versprechungen im Gepäck waren sie schließlich nach Irland gereist und Francisco fragte sich allmählich, ob ihre Suche überhaupt noch einen Sinn machte. Ohnehin hatte ihn die haarsträubende Theorie von dem schwingenden Multiversum nie richtig überzeugt. Aber Vicente war sein großer Bruder und gab sich alle Mühe, dieser Rolle gerecht zu werden. Außer ihm und Clara hatte Francisco keine Verwandten – im Gegensatz zum Vater schien die Tochter ihn jedoch zu ignorieren. Er hatte ihr aus aller Herren Länder Briefe geschickt und nie eine Antwort bekommen. Manchmal verkniff er sich sogar die persönlichen Fragen nach ihrer brüsken Ablehnung in jener salzig-feuchten Nacht von Huelva und flehte sie einfach nur um Hilfe an, weil ihm Pedros Schicksal keine Ruhe ließ. Als Vicentes Tochter mochte sie ja etwas über jene Nacht herausfinden können, in der das Oberhaupt des Klosters von La Rábida angeblich den Provinzialminister und seine Geliebte ermordet haben sollte. Aber auch darauf ging Clara nicht ein.
    Francisco gab sich der Illusion hin, eine Verbindungsleine zu seiner Halbnichte in der Hand zu halten, solange er mit Vicente durch die Welt reiste. Deshalb brachte er es nicht übers Herz, diese – zugegeben – sehr dünne Schnur fallen zu lassen. Fast widerspruchslos ließ, er sich von seinem Bruder weiter zu Pyramiden oder anderen Kultstätten fuhren, lauschte willig auf innere Stimmen – die jedoch beharrlich schwiegen – und genoss das Gefühl, gebraucht zu werden.
    Die Grab- und Tempelanlage von Newgrange sandte ihm auch keine Signale. Vicente hatte sie auf das Besuchsprogramm gesetzt, weil sich auf dem großen, quer liegenden Bann- oder Schwellenstein vor dem Eingang des Rundbaus eine Dreifach- spirale befand. Er deutete die bemerkenswerte Gravur als Symbol der drei umeinander wirbelnden Welten des Multiversums. Francisco zeigte sich beeindruckt und meinte, dieser »multiversale Angelpunkt« sei vermutlich vor

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