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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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fünftausendvierhundert Jahren außer Dienst gestellt worden – auf dieses Alter datierten Archäologen die monumentale Kultstätte aus weißen Quarzsteinen.
    Vom Boyne Valley in der irischen Grafschaft Meath fuhren sie in den Südwesten der Insel, wo Vicente seinem Bruder noch einige weniger spektakuläre Orte zeigen wollte. Und dabei machte Francisco jene sonderbare Erfahrung, die seine Vorbehalte gegen die Idee des Multiversums zutiefst erschütterte.
    Sie fuhren über den so genannten Ring of Kerry. Am Morgen hatte es geregnet, aber zur Mittagszeit strahlte wieder die Sonne am blauen Himmel. Die Brüder ließen gerade Portmagee hinter sich, wo sie fish and chips gegessen hatten, als sie einen Aussichtspunkt erreichten, der diesen Namen wahrhaft verdiente.
    »Halt bitte an!«, stieß Francisco hervor.
    »Warum? Ist dir von der Kurverei schlecht geworden?«
    »Ich weiß nicht.«
    Vicente stoppte den Wagen am linken Straßenrand. Francisco stieß die Tür auf, sprang hinaus und stolperte ein Stück die Straße hinab, während er gleichzeitig, seine Augen mit der rechten Hand beschirmend, angestrengt nach Südwesten spähte. Aus dem Atlantik ragten drei Inseln, eine ganz nahe und zwei in größerer Entfernung. Die Umrisse der am weitesten entfernten erinnerten an eine Pyramide. Ihr Anblick raubte Francisco buchstäblich den Atem. Erst als Vicente neben ihm zu sprechen begann, holte er wieder Luft.
    »Das da vorne ist Puffin Island und die beiden Inseln weiter draußen sind die Skelligs. Hätte mir denken können, dass sie dich interessieren. Bei der klaren Sicht heute möchte man kaum glauben, dass sie nicht weniger als zwölf Kilometer vor der Küste liegen, stimmt’s?«
    Francisco konnte sich nur schwer von der dreieckigen Silhouette im Meer lösen. »Was weißt du über diese Skellig-Inseln?«
    Vicente zuckte die Schultern. »Hab mich zwar mal mit ihnen beschäftigt, es aber bald wieder aufgegeben – es gibt keine Pyramiden dort.«
    »Sondern?«
    »Basstölpel.«
    »Wie bitte?«
    »Vögel. Mehr als zwanzigtausend Paare sollen da drüben nisten. Haben sich ein ziemlich stürmisches Plätzchen ausgewählt, die Tölpel. Die meisten von ihnen bevölkern die kleine Skellig Beag, da im Vordergrund. Die größere Insel dahinter hieß in megalithischer Zeit Sceilg Danaan; man hielt sie für den Sitz der Göttin Dana. Die keltischen Druidenpriester haben dort die Gestirne beobachtet. Ihren heutigen Namen – Skellig Michael – verdankt sie dem Erzengel Michael, dem Drachentöter. Wenn ich mich noch richtig erinnere, war es im Jahr 588 nach Christus, als St. Finnian dort ein Kloster gründete. Die irischen Mönche richteten sich in seltsamen Behausungen ein, die sie clochans nannten – erinnern ein bisschen an Bienenstöcke. Immerhin haben sie in den Dingern sechshundert Jahre lang ausgeharrt. Geht’s dir wirklich gut, Bruderherz?«
    Francisco war blass geworden, starrte nur wie hypnotisiert über das Meer. Er hatte den graugrünen Felsen, der da wie eine Pyramide aus dem Wasser ragte, schon einmal gesehen. Aber er wusste nicht wann oder wo. Hätte ihm irgendjemand noch vor einer Stunde von seinem Déjà-vu-Erlebnis erzählt, wäre Francisco skeptisch gewesen, möglicherweise sogar zornig geworden. Obwohl von Franziskanern erzogen, war für ihn schon die Hölle kein realer Ort – ein liebender Gott quälte seine Geschöpfe nicht – und die Reinkarnation hielt er für genauso grausam. Wer wollte schon als Wurm wiedergeboren werden oder als Gänseblümchen? Schlimmster Aberglaube! Doch wenn es kein Déjà-vu war, woher um Himmels willen kannte er dann Skellig Michael, diese stürmische Insel des Drachentöters? Was er in diesem Moment empfand, war mehr als ein Wiedererkennen von etwas, das man schon einmal im Fernsehen oder in einem Reiseprospekt bestaunt hatte. Es war wie eine Heimkehr, wie das Zurückfinden einer verloren gegangenen Erinnerung in das Bewusstsein.
    »Du hast doch was, Francisco. Was ist mit dir?« Die Stimme Vicentes wurde drängender.
    Der Gefragte blinzelte. Du phantasierst!, schrie in ihm jener Teil seines Wesens, dem schon in frühesten Tagen die Unmöglichkeit solcher Erlebnisse eingeschärft worden war. Er schüttelte den Kopf. »Nichts.«
    »Komm schon, Francisco! Du bist kreidebleich. Spürst du endlich etwas?«
    »Mir kam die Insel da drüben bekannt vor. Das ist alles.«
    »Würde mich nicht wundern. Sicher hast du mal Fotos von ihr gesehen.«
    »Du hast Recht.«
    »Und warum bist du dann

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