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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Alte: »Hier in Glastonbury leben die Leute seit Jahrhunderten mit solchen Wundern. Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein, junger Mann?«
    Francisco schüttelte verstört den Kopf. »Danke, nein. Grüßen Sie Ihre Enkelin von mir. Auf Wiedersehen.« Er stolperte schon zur Toreinfahrt zurück, als er hinter sich noch einmal die Stimme der Alten vernahm.
    »Wie haben Sie herausgefunden, dass Celine meine Enkelin ist?«
    Ohne sich umzuwenden, rief er zurück: »Sie hat Großmutter zu Ihnen gesagt.« Und flüsternd fügte er hinzu: »Außerdem finde ich ständig Dinge und weiß nicht warum.« Damit war er vom Hof verschwunden.
    Kopfschüttelnd eilte er zum Ende der Gasse und murmelte dabei unablässig vor sich hin. »Das gibt es nicht. Ich war noch nie in dieser Stadt. Diese Linde… Muss ein Zufall sein…«
    Als er auf der breiten Hauptstraße ein freies Taxi entdeckte, riss er den Arm hoch. Der dunkelrote Wagen hielt. Er sah aus wie ein rollender Schuhkarton. Francisco stieg ein.
    »Bringen Sie mich bitte zum Glastonbury Hill und wenn es geht, schnell«, bat er den Fahrer.
    Der stiernackige Mann drehte sich um, blickte mit einem wissenden Lächeln durch die gläserne Trennscheibe und erwiderte: »Die Sonne geht gleich unter, Sir. Dieser Wagen kann nur bei Tage nach Avalon fahren.«
    Verständnislos starrte Francisco den bulligen Chauffeur an. War er zu einem Verrückten ins Auto gestiegen?
    Der Taxifahrer grinste. »War nur ein Scherz. Wollte damit sagen, dass die Besichtigung bei Dunkelheit nicht viel Sinn macht. Wenn Sie trotzdem zum Tor wollen – bitte schön. Nur in eine andere Welt kutschieren kann ich sie nicht.«
    Francisco ließ sich schwer in den Sitz zurückfallen und schloss die Augen. »Ich schätze, das kommt ganz auf den Fahrgast an. Sie würden nicht glauben, was ich in Taxis schon alles erlebt habe!«
     
     
    Die Bezeichnung Tor Hill sei ebenso eine Tautologie wie eine tote Leiche, erklärte der Taxifahrer gut gelaunt, während er sein Fahrzeug zur östlichen Stadtgrenze lenkte. Tor sei nämlich Keltisch und bedeute »Hügel«. Der massige Mann malmte unablässig auf einem Kaugummi und wiederholte mechanisch die touristischen Standardfloskeln, die hier offenbar zur Dienstpflicht aller Personenbeförderer gehörten.
    Francisco tat so, als achte er nicht auf ihn. In Wirklichkeit hörte er sehr genau, was das Plappermaul hervorsprudelte. Am Fuß des Glastonbury Hill – oder Tor – bezahlte er wortlos den Fahrpreis, gab noch ein Trinkgeld dazu und schlüpfte schnell nach draußen. Erst als die Rücklichter des Wagens verschwunden waren, atmete er auf. Der Glanz konnte kommen.
    Die kleine Straße mit dem Namen Wallhouse lag verlassen vor ihm. Er blickte zum Tor hinauf. Der runde Hügel erhob sich etwa einhundertfünfzig Meter hoch in den Abendhimmel. Er war ganz mit Gras bewachsen. Nur auf der Spitze thronte, seiner Umgebung seltsam entrückt, ein viereckiger Turm wie ein Burgfried, dem seine Festung abhanden gekommen war. Francisco musste an Gwyn ap Nudd denken, den Feenkönig, dessen Schloss für Menschen unsichtbar dort oben stand. Der Weg zum Turm führte spiralförmig über mehrere Terrassen. Spontan drängte sich dem Betrachter der Eindruck einer oben abgerundeten Stufenpyramide auf, die unter dem Gras versteckt lag.
    »Eine unsichtbare Pyramide«, murmelte Francisco. Er entschloss sich, die Besteigung des Tor auf den nächsten Tag zu verschieben. Andernfalls würde er das trutzige Gemäuer, wenn ihn der Glanz ausgerechnet auf dem Gipfel ereilte, in einen Leuchtturm verwandeln. Er entdeckte einen dreiteiligen Wegweiser. Auf den zwei nach rechts deutenden Pfeilen standen die Namen »Glastonbury Tor« und »White Spring«. Der Taxifahrer hatte behauptet, durch die Weiße Quelle gelange man ins Reich der Feen. Aber auch in die Unterwelt. Von dieser wollte Francisco lieber Abstand halten und folgte daher dem dritten, nach links weisenden Schild. Es bezeichnete den Weg nach »Chalice Well«, dem Ort der so genannten Blutquelle.
    Die Hände auf dem Rücken verschränkt spazierte er durch eine liebevoll gestaltete Parkanlage, in der es eine Menge Bäume gab – ideal für einen, der mal richtig strahlen wollte. Im Moment brütete Francisco aber bestenfalls vor sich hin. Die Erläuterungen des Taxifahrers beschäftigten ihn immer noch. Sie wollten nicht recht zu den Erklärungen seines Bruders passen. Von Letzterem wusste er um die alten Kulte, die dem Drachen oder der Schlange – Sinnbild

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