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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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der Energien von Himmel und Erde – gehuldigt hatten. Oft dienten ihnen Höhen als heilige Stätten, die sie mit ähnlichen Spiralmustern schmückten, wie er sie in Newgrange gesehen hatte und wie sie auch hier am Tor in labyrinthischer Verschlingung zu sehen sein sollten. Kaum verwunderlich, dass die Christenheit dieser heidnischen Verkörperung des Bösen ihren Erzengel Michael entgegengestellt hatte, welcher nach der Offenbarung des Johannes »den großen Drachen – die Urschlange –, der Teufel und Satan genannt wird«, bezwang.
    Vicente hatte während der Fahrt nach Glastonbury über Ynis Witrin doziert, die »Gläserne Insel«, die offenbar mit Avalon identisch war. Die Kelten glaubten, hier »den Ort zu wissen, an dem sie zu einer anderen Ebene der Existenz« hinüberwechseln konnten. Ob das nicht eine fast perfekte Beschreibung für einen Angelpunkt des Multiversums sei, hatte der Archäologe daraufhin seinen Bruder gefragt. Francisco konnte sich noch gut an das fiebrige Funkeln in Vicentes Augen erinnern.
    Sonderbarerweise hatte der so vielseitig beschlagene Wissenschaftler kein Wort darüber verloren, woher der Name Avalon stammte. Erst dem redseligen Taxifahrer verdankte Francisco diese Information: Avalloc oder Avallach sei bei den Kelten ein Halbgott gewesen, der die Unterwelt beherrsche. Dieser Hügel habe in grauer Vorzeit mit Caer Sidi in Verbindung gestanden, dem »Gläsernen Berg« oder »Spiralschloss« der Feen, wo die Kräfte der Erde sich mit der übernatürlichen Macht des Jenseits trafen.
    Der von Vicente erwähnte Übertritt zur anderen Existenz war also nichts anderes als der Tod.
    »Wie man die Fakten nur so verdrehen kann!«, schnaubte Francisco. Er beschloss in Zukunft die vermeintlich schlüssigen Beweisführungen seines großen Bruders einer noch strengeren Prüfung zu unterziehen. In diesem Moment erreichte er eine Steintreppe, die zur Blutquelle hinabführte. Sein Herz begann heftig zu schlagen, ohne dass er wusste warum. Langsam, fast ehrfürchtig, stieg er zu dem viereckigen Platz hinab, der mit Steinplatten ausgelegt war, die im schwindenden Licht des Tages fahl schimmerten. Eine mannshohe Mauer stützte das höher liegende, mit Gras und Büschen bepflanzte Erdreich ab. Neben der Treppe befand sich, nach vorne spitz zulaufend, eine Art Rampe, über die sich das Wasser in ein Steinbecken ergoss. Was immer das sprudelnde Nass benetzte, war rostrot gefärbt. Das Bassin besaß die Form von zwei ineinander verschlungenen Kreisen – unwillkürlich fiel Francisco wieder die haarsträubende Idee von den Spiegelwelten ein.
    »Aber ein Spiegel zeigt nur ein Ebenbild«, machte er sich mit seiner eben erst bekräftigten Skepsis klar. Er trat einen Schritt näher an das Becken heran, um sich auch gleich den Beweis zu liefern. Die Abenddämmerung erlaubte ihm gerade noch sein Gesicht zu erkennen. Es waberte in den Wellenringen des herabrieselnden Quellwassers. »Wenn es anders ist, dann zeig es mir«, fügte er noch fordernd hinzu, nur so zum Scherz.
    Umso mehr erschrak er, als sein Konterfei plötzlich zu leuchten begann. »Es geht wieder los«, keuchte er, den Blick gebannt auf das tanzende Spiegelbild gerichtet.
    Das Licht breitete sich aus und wurde rasch heller, fast so, als sei es in den zwei Steinringen verflüssigt worden. Und dann geschah etwas Merkwürdiges. Obwohl Francisco zu seiner Rechten weiter das Rauschen hörte und die Wasseroberfläche immer noch mit den Wellen tanzte, wurde sein Spiegelbild ganz ruhig. Langsam schien es auf den Grund des flachen Beckens zu sinken und verlor dabei seine Flachheit. Er schauderte. Das Gesicht im Bassin sah auf eine unheimliche Weise real aus. Es spiegelte perfekt Franciscos Staunen wider, wenngleich ihn der üppige Haarwuchs des reflektierten Hauptes etwas irritierte. Und dann begann die Erscheinung auch noch zu sprechen.
    »Dieser Traum muss einen Grund haben, Topra.«
    Francisco blinzelte überrascht, das Spiegelbild tat es nicht. Seine Kinnlade klappte hinab, dem Ebenbild kam derlei nicht in den Sinn. Vor Überraschung brachte er kein Wort hervor.
    »Vielleicht hängt es mit der Unsichtbaren Pyramide zusammen«, grübelte das Gesicht im Wasser. Dem Klang seiner Stimme nach handelte es sich um ein Selbstgespräch in – Francisco traute seinen Ohren nicht – Altägyptisch! Er holte tief Luft, aber ehe er etwas sagen konnte, riss der andere die Augen auf, als habe er den Beobachter über der Blutquelle erst jetzt bemerkt, und sogleich

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