Die unsichtbare Pyramide
wird sich hüten, sie ein weiteres Mal zu schwängern… Urgh!«
Der feiste Diener gab ein unartikuliertes Gurgeln von sich, weil der hünenhafte Nubier ihn am Kragen gepackt und wie eine Stoffpuppe emporgehoben hatte. Jetzt befanden sich ihre Gesichter auf gleicher Höhe. »Hör mir gut zu, Adit«, zischte Hobnaj. »Gisa wird heiraten und glücklich werden. Ihre Leibesfrucht soll über die Bastarde des Pharaos triumphieren. Dafür werde ich sorgen, so wahr ich Hobnaj von Meroe bin. Sie ist die längste Zeit Isfets Konkubine gewesen. Dieser arrogante Herrscher der Welt‹ ist ihrer nicht würdig. Hast du das verstanden?«
Der baumelnde Mann nickte eifrig.
»Gut«, sagte Hobnaj und ließ den Diener fallen. Nachdem der im jahrtausendealten Staub des Tunnels gelandet war, gereute den Nubier seine Grobheit und er fügte entschuldigend hinzu: »Nichts für ungut, Adit, aber ich habe Gisas Vater einmal geschworen, sie zu beschützen, und die Edlen von Meroe pflegen ihr Wort zu halten.« Er schnaubte verächtlich. »Außerdem hat sie einen besseren Mann verdient als Pharao Isfet.«
Der Dickbauch am Boden konnte schon wieder kichern. »Hört, hört! Hast dich wohl in die ›Blume vom Nil‹ verguckt, was? Schlag dir das aus dem Kopf, Hobnaj! Greif dir doch mal selbst an den Hals, damit du den Sklavenring dort spürst. Du bist kein Fürst mehr, sondern bestenfalls ein luxuriöses Einrichtungsstück. Selbst wenn Isfet seine Konkubine freigibt, ist die Tochter eines der höchsten Hofbeamten des Reiches eine Nummer zu groß für dich. Such dir ein fruchtbares Ebenholzmädchen und mach ihr ein Dutzend… Urrrgh!« Die Beine des Dieners zappelten erneut in der Luft.
»Wenn du nicht gleich dein Schandmaul hältst, dann wirst du nie wieder einen Kochlöffel in die Hand nehmen können. Was hältst du davon?«
»Deine Herrin würde unweigerlich verhungern«, krächzte der Diener.
»Ich kann auch ganz gut kochen«, entgegnete Hobnaj. Ein weiterer Schrei Gisas ließ sein schweres Haupt zur Kammer des Wissens herumfahren. Er ließ den Koch achtlos fallen.
»Jetzt!«, rief drinnen Wira mit derber Stimme. »Presse, was das Zeug hält, Mädchen. Und vergiss nicht zu atmen.«
Nichts tat Gisa lieber, als auf ihre Hebamme zu hören. Sie hatte schon geglaubt, die Wehen würden ihren Leib auf Erbsengröße zusammenschrumpfen lassen. Das Schnaufen und Entspannen hing ihr sattsam zum Halse heraus. Endlich durfte sie pressen. Und sie tat es. Mit aller Kraft. Die farbigen Hieroglyphen an den Wänden der Kammer des Wissens verschwammen vor ihren Augen.
Das Kind hatte lange genug herumgetrödelt. Es war bereits zwei Wochen über der Zeit. Wäre es nach Isfet gegangen, dann hätten seine Leibärzte die Geburt längst auf künstlichem Wege eingeleitet, aber Gisa war dagegen gewesen. Schon die Fruchtwasseruntersuchung hatte sie nur mit Widerwillen über sich ergehen lassen. Seitdem wusste sie, dass sie einen Jungen unter dem Herzen trug und damit auch einen möglichen Thronfolger. Es war gefährlich für eine Konkubine des Pharaos, mit einem Knaben niederzukommen. Deshalb traute Gisa den Medizinern nicht. Die waren auch nur Hofbeamte, also bestechlich, und Ibah-Ahiti konnte sich so viele Staatsdiener kaufen, wie sie wollte – die Gemahlin des Pharaos besaß Geld wie Wüstensand und dazu eine beispiellose Niedertracht. Ausgerechnet jetzt, wo die erste Frau im Staat selbst kurz vor der Niederkunft stand, brachte auch ihre Rivalin einen Knaben zur Welt. Gisa konnte sich lebhaft vorstellen, wie es um seine Überlebenschancen stand. Deshalb hatte sie auch auf die Segnungen der modernen Medizin verzichtet und Hobnaj nach altem Brauch ein geheimes mammisi suchen lassen, einen sicheren Platz für die Geburt. Die Kammer des Wissens war dazu wie geschaffen. Diesen heiligen und gut verborgenen Ort durfte bei Todesstrafe niemand betreten außer dem Hohepriester. Zum Glück war der auch nur ein Beamter mit aufwändigem Lebensstil.
»Komm, Mädchen!«, feuerte Wira ihre Herrin an. »Wir wollen doch nicht, dass der Kleine auf dem Weg nach draußen einschläft. Gib dir ein wenig mehr Mühe. Der hübsche Kopf liegt schon in meinen Händen.«
Gisa presste abermals. Zugleich stieß sie einen weiteren Schrei aus. Der Schmerz und ihr Unterleib waren eins. Sie fühlte sich, als würde sie drei Knaben auf einmal zur Welt bringen.
Die Kammer des Wissens befand sich am nördlichen Stadtrand von Memphis, was nicht bedeutete, dass sie in der Nähe des Herrschersitzes
Weitere Kostenlose Bücher