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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Zunge und sein Rappe lief sogleich los. Die Frau hatte die Blüte ihrer Jahre bereits überschritten. Silberne Strähnen durchzogen ihr glattes langes, im Feuerschein rot schimmerndes Haar. Ihre Reaktion auf den Tod des Böttchers ließ für Cord nur einen Schluss zu: Sie war Beorns Eheweib. »He!«, rief er laut.
    Anstatt vor Angst zu erstarren, lief die Frau in das brennende Haus hinein.
    Der dunkle Reiter spornte sein Pferd an. Unmittelbar vor dem Gebäude riss er an den Zügeln und sprang aus dem Sattel. Mit Lanze und Schwert bewaffnet rannte er in die Hütte.
    Drinnen herrschte ein infernalisches Durcheinander. Die Hitze und der beißende Qualm raubten Cord schier den Atem. Tränen schossen ihm in die Augen und lösten sich sofort wieder auf. Plötzlich hörte er über sich ein beängstigendes Krachen. Er reagierte wie in einem Zweikampf. Mit dem Schwert parierte er den »Hieb« des auf ihn niederfahrenden Balkens. Dabei bemerkte er aus den Augenwinkeln einen Schemen. Mit vorgereckter Lanze fuhr er herum. Aber die Gestalt – so es denn überhaupt eine gewesen war – hatte sich schon wieder zurückgezogen. Abermals hörte der Waffenmeister über sich ein bedrohliches Knirschen. Fieberhaft blickte er sich um. Da brannten eine Schlafstatt, eine Truhe und andere Möbelstücke. Lodernde Dachbalken lagen herum. Überall waren Gegenstände über den Boden verstreut. Aber von dem Kind und der Frau fehlte jede Spur.
    Cord stieß einen Fluch aus und sprang mit zwei langen Sätzen zum Ausgang hin. Keinen Moment zu spät. Hinter ihm stürzte nun endgültig die Hütte des Böttchers ein. Über den Trümmern erhob sich eine gewaltige Lohe und setzte die alte Linde neben dem Haus in Brand. Funken stoben wie ein glühender Wespenschwarm durcheinander. Der Krieger musste mit dem Unterarm sein Gesicht beschirmen, um die Hitze abzuhalten. Es hatte keinen Zweck. Wenn sich noch irgendjemand in dem Haus befunden hatte, dann kam für ihn jede Rettung zu spät.
    Grimmig wandte sich Cord von dem Trümmerhaufen und dem lodernden Baum ab. Sein Herr würde nicht erfreut sein, von diesem Ausgang der Schlacht zu hören.
    Das warme Strahlen der morgendlichen Herbstsonne erschien Aluuin wie blanker Hohn. Fassungslos schritt er durch die rauchenden Überreste des Dorfes. Er hatte in seinem langen Leben schon viel Leid gesehen, aber das hier… Dutzende von Leichen und Tierkadavern. Der Alte schüttelte angewidert den Kopf. Die zahlreichen Kriegslords unternahmen tagtäglich Überfälle. Sie mochten das Land knechten und beuteln, aber bei aller Mordlust wussten sie dennoch, dass man Tote nur einmal fleddern kann. Zugegeben, hin und wieder gab es auch blutige Strafaktionen, aber solche Maßnahmen dienten gewöhnlich dem Zweck, von den Überlebenden einen umso höheren Tribut zu erpressen. Hier jedoch steckte eine andere Absicht dahinter. Das Oberhaupt des Dreierbunds nickte verstehend. Nachdenklich und sehr leise sagte Aluuin: »Deine Handschrift ist unverwechselbar, alter Weggefährte. Bist du mir zuvorgekommen?« Er drehte sich um seine eigene Achse und hielt dabei Ausschau nach irgendeiner Auffälligkeit. »Gebt mir ein Zeichen!«, flüsterte er.
    War bei diesem Gemetzel denn niemand verschont worden? Überall lagen die toten Körper von Männern, Frauen und sogar Kindern. Es waren ausnahmslos Dorfbewohner. Er würde nachher die Bürger von Wells bitten müssen, ihre Nachbarn zu begraben. Nirgends war die Leiche eines der Angreifer zu entdecken. Aber auch das gehörte zur »Handschrift« des gefürchteten Herrn von Zennor Quoit: Er pflegte die Legende von dem unverwundbaren Schwarzen Heer. Aluuin glaubte nicht an diesen Humbug, schon allein deshalb, weil er Molog kannte. Seine Krieger waren ebenso Menschen aus Fleisch und Blut wie ihre Opfer.
    »Wie wäre es mit einem blauen Licht?«, schlug der grauhaarige Hüter des Gleichgewichts vor. Er wusste meist selbst nicht, zu wem er sprach, aber so tat er es ziemlich oft. Das von ihm verlangte Strahlen blieb aus. Hatte er sich etwa getäuscht? War Molog womöglich doch schneller gewesen? Oder gab es in seinen Berechnungen von der nächsten großen Welle einen Fehler? Vielleicht stimmte der Zeitpunkt nicht. Oder der Ort? »Nein!«, widersprach Aluuin den eigenen Zweifeln und zitierte die prophetischen Anweisungen Abacucks des Weisen: »Wenn die erste große Welle gekommen ist, suche am Eingang des Feenreiches nach einem Kind, das weder Vater noch Mutter hat. Findest du es, so kannst du dich

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