Die unsichtbare Pyramide
vertrauen.«
»Ich achte dich, Hobnaj, aber wenn du mir nicht gleich sagst…«
»Schon gut, Junge. Manchmal ist eine kleine Vorrede nötig, damit man das ganze Bild erkennt. Kurzum, ich glaube, Gisa hat einen Weg in Isfets Gemächer gekannt. Immerhin musste sie sich jahrelang gegen Ibah-Ahitis Eifersucht behaupten.«
»Aber sie wohnte doch im Palast der Konkubinen und war eine anerkannte Nebenfrau.«
Der Nubier nickte wissend. »Das musst du mir nicht erklären, ich war ihr Leibwächter. Anscheinend ist dir aber nicht bekannt, dass am Hof über alles Buch geführt wird. Der Griffelhalter des Großen Hauses soll sogar eine Liste haben, in der Isfets Liebesleben protokolliert wird – ob das stimmt, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls war Isfet in deine Mutter vernarrt und sie hat ihn wohl auch geliebt. Es erscheint mir durchaus plausibel, dass er ihr einen Geheimgang zeigte, der sie ganz diskret zu ihm brachte. Überleg doch, Topra: Sie warnt dich vor der Gefahr durch Isfet und Aabuwa, anschließend stößt sie hervor: ›Gehe zu ihm!‹ Was bedeutet das?«
»Ich soll sie erwürgen.« Topra sprach nur aus, was er in diesem Moment fühlte.
»Vergiss das, Junge. Wenn wir etwas gegen Isfet und den Kronprinzen unternehmen wollen, dann muss das gründlich geplant werden. Alles andere wäre Selbstmord. Du kannst nicht in den Palast des Pharaos spazieren, erst den Pharao umbringen und dann seinen Sohn. Außerdem – ich weiß, wovon ich rede – traue ich es dir nicht zu, einen Menschen kaltblütig zu er…«
»Mein Blut ist alles andere als kalt, Hobnaj, es kocht!«, fiel Topra dem Nubier wutschnaubend ins Wort. »Ich habe mich jahrelang danach gesehnt, meine Eltern zu finden, und jetzt, wo ich meine Mutter endlich in die Arme schließen konnte, war es nur, um von ihr für immer Abschied zu nehmen. Du hast doch gehört, was sie mir über Ibah-Ahitis Grausamkeit erzählt hat. Und alles geschah mit der Billigung meines Vaters. Ich verabscheue beide, Hobnaj, aber mehr noch als sein sadistisches Weib hasse ich meinen Vater, den Mann, den ein Sohn eigentlich lieben sollte. Er verdient den Tod!«
Topra wischte die Touristenkarte vom Tisch und stürzte aus dem Raum. Er war außer sich und verspürte nicht die geringste Neigung, vernünftig zu sein. Sollten die anderen doch ihre Verschwörungspläne gegen das Große Haus aushecken. Er wünschte nur, dem Menschen ins Angesicht sehen zu können, der den langsamen, qualvollen Tod seiner Mutter zu verantworten hatte, und ihm… Ach, er wusste es selbst nicht!
Die Nacht hatte sich bereits vor mehr als drei Stunden über das Millionenjahrhaus gesenkt, aber es war so gut wie unmöglich, unter seinem Schutzwall aus Mauern, Ministerien und Militäreinrichtungen einen stillen dunklen Winkel zu finden. Schließlich gelang es Topra aber doch. Von der ausgewählten Stelle lief er etwa eine halbe Meile weiter nach Norden. Der ganze Bebauungsabschnitt stammte noch aus einer sehr frühen Periode der Residenzstadt. Von einer Seitengasse aus spähte Topra zu der alten Grenzmauer hinüber. Sie war aus großen Sandsteinquadern errichtet. Die Straße davor wurde von Scheinwerfern angestrahlt. Genau der richtige Ort für ein Ablenkungsmanöver.
Topra schloss die Augen. Seine Gefühle waren immer noch aufgewühlt und es fiel ihm nicht leicht, sich zu konzentrieren. Vor seinem inneren Auge erschien eine schon Monate zurückliegende Szene: der Abhang eines Hügels, Sand, Geröll, ein ängstliches kleines Mädchen, eine Löwin… Irgendwie hatte er damals das Tier mit Staub und Steinen fortgejagt. Die schräge Ebene vor seinen Füßen war in seiner Vorstellung umgekippt und alles geriet ins Rutschen. Obwohl er die Augen weiterhin geschlossen hielt, erschien hinter seinen Lidern wie auf einer Filmleinwand der steinerne Schutzwall des Millionenjahrhauses. Topra ließ den Grund unter der Mauer kippen. Als würde ein riesiges Ungetüm darunter auftauchen, wölbte sich der Boden immer weiter nach oben. Das Bild in seinem Bewusstsein zeigte alles ganz klar.
Plötzlich erklang ein lautes Krachen. Topra riss die Augen auf. Eine riesige Staubwolke schob sich ihm entgegen. Die Mauer war vom eigenen Gewicht umgeworfen worden, obwohl die Straße davor nicht die geringste Verformung erkennen ließ. Fatima hatte also Recht gehabt: Er konnte die Kräfte des Drillingsuniversums lenken. Topra drehte sich um und verschwand in der Gasse.
Alarmsirenen erschollen. Die Leibgarde des Pharaos rückte an. Sogar ihr
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