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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Trugbild der jungen Frau folgend. Anders als im Ptah-Tempel mündete der Geheimgang hier nicht unter irgendeinem Fußboden in den Gewölben oder im Erdgeschoss des Palastes, sondern in einem langen schmalen Raum.
    Durch Betätigen eines Lichtschalters am Tunnelausgang erweckte Topra einige schwache Glühlampen zum Leben. Er brauchte eine Weile, um sich zu orientieren. An mehreren Stellen ragten hölzerne Stiele aus dem unverputzten Mauerwerk. Als er einen der Stopfen herauszog und durch das so entstandene Loch spähte, konnte er den Thronsaal des Pharaos sehen. Die Gegenprobe auf der anderen Seite – hier gewährte der entfernte Pfropf Einblick in ein kostbar ausgeschmücktes Empfangszimmer – brachte dem Eindringling dann die Gewissheit: Er befand sich in einer doppelten Wand, die schon manchem Spion als Horch- und Spähposten gedient haben mochte.
    Über diesen Erwägungen hatte Topra das Bild seiner Mutter verloren. Es gelang ihm auch nicht, es wieder herbeizurufen – vermutlich war er zu nervös. Am Ende der hohlen Wand entdeckte er eine weitere Treppe. Dort stieg er empor und gelangte so ins nächste Stockwerk. Auch hier sah er mehrere runde Stiele aus den Seitenwänden ragen, die Verschlüsse weiterer Guck- und Lauschlöcher. Außerdem gab es insgesamt vier Ausgänge, die – noch ganz altmodisch – mit Hebeln zu öffnen waren.
    »Welcher, o erhabener Herrscher der Welt, führt in dein Schlafgemach?«, murmelte Topra zwischen den Zähnen und zog den Dolch aus der Scheide. Seine Hand zitterte. Er kontrollierte einen der Stopfen. Dahinter lag ein breiter, beleuchteter Gang. »Konzentrier dich!«, ermahnte er sich selbst, drehte sich einmal um seine eigene Achse, dann blieb sein Blick an dem hintersten Stiel auf der rechten Seite hängen. Der Finder grinste.
    Bei dem Spionierloch angelangt, verschaffte er sich Gewissheit. Sein untrüglicher Sinn hatte ihn auch diesmal nicht enttäuscht. Hinter der gemauerten Wand lag unverkennbar ein Schlafzimmer. Die Türen zum Balkon standen offen, denn er sah sich bauschende Gardinen, in denen sich das Mondlicht fing. Wenn die kühlende Brise der Nacht einmal innehielt, sank das hauchfeine Tuch wie Spinnweben herab und gab den Blick auf ein großes Himmelbett frei. Topras Herz setzte ein oder zwei Schläge aus, als sich in dem Bettzeug jemand regte. Für einen Sekundenbruchteil sah er einen fahlen Arm, der sich hob und gleich wieder aufs Lager zurückfiel. Er glaubte ein leises Stöhnen zu vernehmen.
    »Das schlechte Gewissen lässt den Herrscher der Welt wohl nicht gut schlafen«, flüsterte Topra grimmig. Er löste sich von dem Guckloch und studierte den Mechanismus der Geheimtür, die sich zwei Schritte daneben befand. Der Hebel ragte durch den Schlitz einer hölzernen Blende aus der Wand. Er stand nach oben, musste also offensichtlich heruntergedrückt werden. Aber was würde dann geschehen?, fragte sich der in Einbruchsfragen Unerfahrene. Wenn die Geheimtür laut quietschte oder knarzte, würde er sich vorzeitig verraten. Sollte sie sich zu allem Übel auch noch sehr langsam öffnen, dann wären vermutlich die Wachen bereits an Ort und Stelle, ehe er überhaupt ins Schlafzimmer des Pharaos eingedrungen war…
    Topra wischte die Bedenken beiseite. Wut und Schmerz hatten sein Urteilsvermögen getrübt, und eine gehörige Portion jugendlicher Leichtsinn ließ ihn an die Wunderkraft des Überraschungsmoments glauben – er musste nur schnell genug sein. Sich innerlich gegen den Lärm des Mechanismus wappnend, den gezückten Dolch mit der Rechten umklammernd, riss Topra den Hebel nach unten.
    Die Geheimtür schwang schneller als erwartet und beinahe lautlos nach innen. Irritiert starrte Topra auf die Rückseite eines Wandteppichs, der ihm die Sicht aufs Bett versperrte. Nach einer Schrecksekunde arbeitete er sich hastig zwischen Mauer und Teppich entlang in Richtung Guckloch. Er konnte sein Glück kaum fassen, als er zum Himmelbett des Potentaten spähte. Die Gestalt räkelte sich zwar unruhig unter dem Baldachin, schien aber dem Schlafen immer noch näher als dem Wachen. Es geht nicht allein um Rache … Gisas Worte stiegen wie Blasen aus dem Sumpf seiner vergifteten Gefühle empor. Mit acht oder zehn schnellen Sprüngen durchquerte er den dunklen Raum, sprang kurzerhand aufs Bett und ließ sich über dem Schläfer auf die Knie fallen, wodurch er dessen Arme an die Matratze fesselte und zugleich rittlings auf seinem Bauch zu sitzen kam. Anschließend presste er ihm die

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