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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ihren Monitoren sah. Aber was diese nicht zeigten, fand gewissermaßen nicht statt. Fast lautlos stahl sich Topra zum Eingang des Heiligtums. Er war von hohen, mit unzähligen Hieroglyphen geschmückten Säulen in der klassischen Papyrusform eingefasst: Ihre Kapitelle öffneten sich gleich dem Blattschopf des Flussgrases in einer weit geschwungenen Linie. Durch das Säulentor gelangte Topra in einen Vorhof, der zum eigentlichen Tempelbau führte. Das imposante Haus der Götter Ka und Ptah war oben schmaler als an seiner Basis. Um es zu betreten, musste der Besucher ein Ehrfurcht gebietendes Spalier durchschreiten, das zu beiden Seiten mit je einem Obelisken begann, es folgten ein Paar monumentaler Königsstatuen und schließlich zwei Sphinxen die sich mit unergründlichem Lächeln ansahen. Ihre Blicke kreuzen durfte nur, wer rituell rein war.
    Oder wer von dem Geheimgang wusste.
    Das Tempelportal besaß oben eine gestufte Aussparung, die aber zu hoch war, um durch sie Einblick in das Innere des Gebäudes zu erlangen. Doch zwischen den beiden schwarz lackierten Torflügeln klaffte ein breiter Spalt – ein kleines Kind hätte ihn mit der Schulter voran durchschreiten können, ohne die Türen zu berühren. Die Symbolsprache der Erbauer interessierte den nächtlichen Eindringling jedoch nicht. Er drückte den rechten Flügel nach innen, gerade weit genug, um eintreten zu können.
    Vor ihm lag ein rechteckiger Raum. An den beiden Längsseiten standen zwölf große Feuerschalen, so genannte »ewige Lichter«, die unruhig flackerten und die Halle nur dürftig erhellten. Im Tempel setzte sich der Prunk fort, der schon außen zu sehen war. Farbige Bilder und lange Bänder mit Schriftzeichen zierten die Wände. Am anderen Ende stand auf einem Podest der göttliche Handwerker, der Schöpfer der Welt, der Herrscher des Totenreiches – die Menschen hatten Ptah viele Titel gegeben.
    Rasch durchquerte Topra den Raum, überwand die schwarzen Granitstufen des Unterbaus und blieb vor der Statue stehen, die nicht größer als ein normal gewachsener Mann war und auch den schwarzen geflochtenen Bart eines solchen besaß. Sie stand auf einem kleinen Basaltsockel, war augenscheinlich ganz aus Gold gefertigt, sparsam bemalt und von Gestalt einer menschlichen Mumie nachempfunden. Die Umwickelung derselben wie auch alle anderen Konturen hatte der Künstler mit Grabstichel und Ziselierhammer überaus detailreich in das Edelmetall getrieben. Ptahs Arme ragten aus den angedeuteten Mumienbändern hervor. Auf dem Haupt trug er eine blaue Kappe, in den Händen drei Zepter.
    Sogleich fielen Topra wieder die Worte seiner Mutter ein. Ergreife seine Zepter! Ja, tatsächlich umklammerte der Gott gleich ein ganzes Bündel aus insgesamt drei Herrscherstäben. Von Menschenhand erschaffene Bilder hatten dem einstigen Schiffsjungen nie sonderlich Respekt eingeflößt und so trat er kurz entschlossen an die Figur heran, umfasste die Zeptergarbe unter Ptahs Händen und zog daran.
    Vielleicht lag es an seiner besonderen Findigkeit oder es war einfach nur Glück, jedenfalls hatte Topra auf Anhieb den Mechanismus der Geheimtür durchschaut. Er hörte ein mahlendes Geräusch und Ptah schwenkte auf seinem schwarzen Sockel zur Seite. Dadurch gab er eine quadratische Öffnung im Boden frei. Topra konnte Stufen sehen. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube stieg er hinab.
    Nachdem er eine nicht sehr lange Treppe überwunden hatte, entdeckte er zwei beschriftete Schalter, auf einem stand »Licht«, auf dem anderen »Ptah«. Der Tunnel unter dem Tempel mochte ja schon tausende von Jahren alt sein, aber an dieser Stelle hatten offenbar sehr viel jüngere Interessen gewirkt. Während Topra zuerst den Schalter für das Licht sowie anschließend den des Patrons der Arbeiter in Werkstätten und Gräbern betätigte, fragte er sich, wie oft seine Mutter wohl diesen Geheimgang benutzt haben mochte.
    Unvermittelt wurden die Bilder der Vergangenheit vor seinen Augen lebendig. Er konnte Gisa sehen. Sie schritt vor ihm in den Gang hinein. Ihr Kopf lag unter einem zarten Schleier und auch ihr zierlicher Körper war von hauchfeinem Tuch umhüllt. Trotz aller Grazie erinnerten ihre Bewegungen an ein scheues Tier, das seiner Umgebung nicht traut.
    »Warte, Mutter!«, flüsterte Topra und eilte der Vision hinterher.
    Der Tunnel verlief schnurgerade unter dem Palastgarten entlang. Nach etwa einer Drittelmeile endete er wiederum vor Treppenstufen. Topra stieg empor, immer noch dem

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