Die unsichtbare Pyramide
schien der Himmel plötzlich entzweizureißen und die Menschen blickten in ein schwarzes Nichts. Dann wurde die Stadt auf eine Weise erschüttert, die schlimmer als jedes Erdbeben war. Die Viertel rings um den Transformer zerfielen zu Staub. Ein Großteil der Bevölkerung starb binnen weniger Augenblicke. In den anderen Metropolen von Trimundus musste Ähnliches passiert sein. Einige Wochen lang herrschte Nacht. Menschen, Tiere und Pflanzen starben. Jene wenigen, die überlebten, waren nicht unbedingt die Stärksten, eher im Gegenteil. »Wie bei mir«, mutmaßte Abacuck, »muss es wohl eine unerklärliche Laune der Natur gewesen sein, die sie immun gegen das grauenhafte Sterben machte.«
Doch noch etwas anderes erlosch: Das Wissen der Menschheit. Bücher aus Papier hatte man zuletzt als altmodisch abgetan. Gelehrte ebenso wie einfache Leute vertrauten ihre Kenntnisse und Erinnerungen schon seit Generationen erstaunlich leistungsfähigen und wie sich nun zeigte, enorm verletzlichen Maschinen an. Diese so genannten »Computer« wurden durch die von den Transformern entfesselten Energieimpulse gründlich zerstört. Zudem flohen die Überlebenden aus den Städten und schnitten sich dadurch auch von den Bibliotheken ab, die wie große Museen bis zur Katastrophe immer noch existiert hatten. Aus Aberglauben scheuten die Menschen jede Auseinandersetzung mit den alten Wissenschaften, weil diese in einem Rundumschlag für das Unglück verantwortlich gemacht wurden. Innerhalb weniger Generationen werde die alte Welt nur noch Legende sein, prophezeite Abacuck mit krakeliger Schrift. Was für Trimundus als Anbruch in ein Zeitalter des Lichts geplant war, hatte das Weltengefüge bis in seine Grundfesten erschüttert und es begann eine Ära der Finsternis.
Er selbst habe die Katastrophe mit jener kleinen Schar, die sich von ihm warnen ließ, in Höhlen tief unter der Stadt überlebt. Anfangs hatten sie noch Bilder von der Oberfläche empfangen (Trevir und Dwina verstanden nicht, was Abacuck damit meinte), aber bald seien die Leitungen tot gewesen. Dann habe auch das Sterben unter der Erde begonnen. Am Ende überlebten in London nur solche, die bestimmte anatomische Eigentümlichkeiten aufwiesen, zu denen auch die Kleinwüchsigkeit gehörte. Er selbst wurde von der grässlichen Seuche verschont, obwohl er von normalem Wuchs und auch sonst ein eher durchschnittlicher Mensch war. Warum?, fragte Abacuck und gab die Antwort, er wisse es nicht, doch er betrachte seine Rettung als göttliche Fügung und leite davon die Verpflichtung ab, eine Wiederholung des Unglücks für alle Zeit zu verhindern. Deshalb habe er beschlossen, sein Buch der Balance der Obhut seiner kleinen glupschäugigen Gefährten zu überlassen, die es mit den anderen Schätzen des Wissens in der Britannischen Bibliothek hüten sollten. Persönlich wolle er sich aufmachen und irgendwo einen zweiten Hort der Weisheit gründen, eine Einsiedelei zur Erforschung des Heilmittels für das geschundene Trimundus. Nicht bevor diese Medizin gefunden sei oder das Gleichgewicht des Triversums erneut in Gefahr gerate, werde er nach London zurückkehren – entweder selbst oder durch einen seiner Nachfolger.
Die letzte Seite des Buches war mit dem Namen Abacuck Smith unterschrieben, womit eindeutig geklärt war, wem die Initialen A. S. gehörten, auf die Trevir in den erbeuteten Dokumenten aus Zennor Quoit gestoßen war. Unter der Signatur befand sich eine Skizze des Symbols der Bruderschaft von Sceilg Danaan, ein zum Dreieck gelegtes Band.
Wenn die historischen Passagen des Werkes noch größtenteils verständlich waren, erschienen Trevir und Dwina andere gänzlich rätselhaft. Abacuck musste sich dieses Umstands bewusst gewesen sein, weil er »für das weiter gehende Studium« auf zahlreiche andere Bücher aus der Rotunde des Wissens verwies. In einem System aus Buchstaben und Ziffern nannte er die genauen Standorte dieser Werke in den Regalen des runden Lesesaales. Bald mussten Trevir und Dwina aber einsehen, dass sie niemals genau verstehen würden, wie es zu der Katastrophe kommen konnte und auf welche Weise eine Wiederholung des Unglücks zu verhindern war, solange sie keinen Zugriff auf diese anderen Quellen hatten.
Während die beiden Das Buch der Balance erforschten, durchsuchten Mologs Krieger weiter die Straßen der Verbotenen Stadt. Nachts, wenn das Schwarze Heer Fackeln und Lagerfeuer anzündete, um die Schatten zu vertreiben, wurde es von zahlreichen Augen
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