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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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über die man die Regale in dem weiten Rund erreichte. Ehe er sich ganz orientiert hatte, fuhr schon seine Hand aus der Tasche und streute ein feines Pulver aus.
    »Hoffentlich wirkt das Gegengift«, murmelte er, obwohl er sich zuvor einem Selbstversuch unterzogen und sich von der Wirksamkeit des Mittels überzeugt hatte.
    Erst jetzt entdeckte er unter sich einen Wachposten, der mit weit aufgerissenen Augen zu ihm heraufstarrte. Als Trevir zur Treppe zu laufen und dabei weitere Salven des Mittels zu verstreuen begann, stand der Mann immer noch so da. Dank der hervorragenden Beleuchtung hatte Trevir sich inzwischen einen Überblick verschafft. Sechs Posten waren in dem Raum verteilt.
    Vier hatte das Pulver schon erreicht, sie schwankten und fielen mit rasselnden Harnischen um.
    Zwei Männer stürmten auf die angelehnte Tür zu, um im Innenhof Alarm zu schlagen. Blitzschnell verwandelte Trevir den glatten Fußboden des Saals in eine schiefe Ebene. Die Männer waren so erschrocken, dass ihr Warnruf ihnen im Halse stecken blieb. Für ihre Augen hatte sich nichts geändert. Trotzdem rutschten sie wie auf einer mit Schmierseife präparierten Rampe vom Eingang weg. Dabei durchquerten sie auch die Wolke aus Lähmungspulver, passierten – einer rechts, der andere links – den zerstörten Glastisch, in dem einst Das Buch der Balance aufbewahrt worden war, und knallten schließlich gegen die untere Regalwand, wo sie reglos liegen blieben.
    Der Hüter des Gleichgewichts hatte mittlerweile die Treppe erreicht und mit dem Abstieg begonnen. Wie lange würde es dauern, bis Wulf hier wäre? Als Trevir das untere Ende der Stiege erreichte, lief er zuerst zu der nächstgelegenen Wache. Der Mann blickte starr zur Decke. Er würde am nächsten Morgen glauben, schlecht geträumt zu haben. Jetzt gerade erschien vor seinen Augen das blau strahlende Gesicht eines bärtigen, merkwürdig gekleideten Jünglings. Der Fremde beugte sich zu ihm herab, berührte ihn mit dem knorrigen Ende seines Stabes, im nächsten Moment lag der Posten im Gebüsch eines verwilderten Parks, wo er bald von zwei Kameraden gefunden werden sollte, die dort eigentlich etwas ganz anderes gesucht hatten.
    In der Rotunde des Wissens wiederholte Trevir nun, was er in Gedanken bestimmt ein paar hundert Mal durchgespielt hatte. Er breitete seinen Baddaumhang am Boden aus, legte Aluuins Stab daneben und ließ seinen Blick in die Runde schweifen. Eher beiläufig registrierte er, dass die von ihm vor Monaten aufgesprengte Geheimtür zugemauert war. Dann machte er sich auf die Suche nach den im Buch der Balance genannten Quellen. Die Aufzeichnungen des Dreierbundgründers trug er über dem Herzen unter seinem Baddagewand, aber nachschauen brauchte er kein einziges Mal. Er kannte die Nummer jedes einzelnen Werkes und Abacuck hatte auch ungefähr das Ordnungssystem in dem runden Lesesaal erklärt, aber zugleich beklagt, dass dieses »für die angesehenste Bibliothek von Trimundus mehr einem antiken Chaos als einem modernen Archiv glich«.
    Bis Trevir das erste Buch fand, verging eine halbe Ewigkeit. Zumindest war sein Eindringen den Posten im Innenhof bisher nicht aufgefallen, denn sonst hätte es in der Rotunde längst von Soldaten gewimmelt. Buch Nummer zwei stand ganz in der Nähe.
    Als er die ersten acht Wälzer in den Armen trug, kehrte er zum Glitzermantel zurück und legte den Stapel dort ab. Einen Moment lang sah er sich um und stöhnte dann. Um die nächste Fuhre Wissen abzuholen, würde er sich wieder auf den Laufring begeben müssen. Er lauschte. Von draußen waren immer noch keine verdächtigen Geräusche zu hören. Rasch lief er zur Treppe.
    Nummer neun, zehn und elf standen wieder dicht beieinander. Bis er das erste Dutzend voll machen konnte, verging jedoch abermals eine quälend lange Zeit; Buch zwölf stand im oberen Wandelgang. Damit war die Hälfte seiner im Kopf gespeicherten Liste abgearbeitet.
    Mit zehn Wälzern taumelte er zur Basis der Rotunde zurück. Seine Arme waren schon ganz lahm. Sechs Bände fehlten noch. Durch die angelehnte Tür drangen Stimmen und das Klappern von Rüstungen.
    »Sie sind zu schnell!«, jammerte Trevir. Er packte seinen Stab und lief zur Tür. Als er durch den Spalt nach draußen spähen wollte, wurde sie plötzlich aufgerissen. Ein grobschlächtiger Krieger in Schwarz stand vor ihm, ein gezücktes Schwert in der Hand und ein Ausdruck der Überraschung im Gesicht. Trevir hieb ihm den Knauf des Stabes über den Kopf. Ein

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