Die unsichtbare Pyramide
blecherner Ton erscholl – der Krieger trug natürlich einen Helm. Jetzt grinste er und hob sein Schwert. Plötzlich wurde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen, er durchquerte rutschend den Lesesaal und wirbelte dabei erneut das sich gerade am Boden setzende Lähmungspulver auf. Bewegungsunfähig blieb er neben seinen Kameraden hinter dem zersprungenen Glastisch liegen.
Trevir sah, wie von der Halle auf der anderen Seite des Innenhofs ein Trupp Wachen herangestürmt kam. Wulf und Molog konnte er nicht ausmachen. Er atmete tief durch. Vielleicht hatte er doch noch eine Chance. Er zog den außen steckenden Schlüssel aus dem Schloss, warf mit Wucht die Tür zu und verriegelte sie. Dann lief er zu seinem Mantel zurück, raffte die vier Ecken zusammen und schwang das schwere Bücherpaket über seine Schulter. Gestützt auf den Stab wankte er zu der Treppe, kämpfte sich zum ersten Wandelgang hinauf und von da zum zweiten empor. Dort legte er seine Last ab und lief zum Buch Nummer neunzehn.
Vermutlich hatte es irgendjemand vor dreihundertsechsunddreißig oder ein paar mehr Jahren falsch abgestellt. Trevirs Augen rasten über die Buchrücken. Derweil krachten Schwerter gegen die schwere Holztür der Rotunde. Endlich fand Trevir es.
Die Bücher zwanzig bis dreiundzwanzig waren eingeordnet, wie es sich gehörte, und das auch noch im selben Regal. Um das letzte Werk zu holen, musste er auf der anderen Seite der Treppe suchen. Im Vorübergehen lud er seine Last auf dem Mantel ab.
»Phys 1221«, murmelte er das Kürzel des Buches. Unten durchdrang eine Schwertklinge das Holz, aber ohne einen richtigen Rammbock würde die Tür dem Ansturm noch ein paar Augenblicke standhalten können.
»Komm schon!«, spornte Trevir sich an. »Bist wieder falsch einsortiert. Phys 1221… Phys 1221. Liebes kleines Büchlein. Zeig dich! – Du blöde Schwarte!«, schrie er unvermittelt, weil das süße Locken nicht fruchten wollte.
Plötzlich ließ ein lautes Krachen ihn herumfahren. Die Tür des Lesesaals rauschte quer durch den Raum und zerlegte nun restlos den Glastisch von Abacucks Buch der Balance. Ein Scherbenregen prasselte über den drei gelähmten Wachen hernieder. Im Eingang stand Wulf und strahlte wie ein blauer Stern.
»Hast du wirklich gedacht, du könntest dich hier hereinschleichen und uns bestehlen?«, schrie er zu Trevir hinauf und schleuderte den gestreckten Arm nach vorn. Ein Pfeil zischte zum Wandelgang empor, allein gelenkt von Wulfs Kraft.
Für Trevir gab es keinen Grund mehr, seine Kräfte sparsam einzusetzen. Den Angriff hatte er vorausgesehen, als die Tür in die Rotunde flog. Die in den Saal stürmenden Männer schienen sich für ihn seltsam langsam zu bewegen, als sei die Zeit aus dem Tritt geraten. Er hörte einen zirpenden Laut im Ohr, den er gelernt hatte als »links« zu deuten, und warf den Kopf nach rechts. Sein Geist gab dem feindlichen Geschoss nur einen kleinen Schubs und es blieb in einem Buchrücken stecken. »Danke, Orrik«, flüsterte er und sprang mit wenigen Sätzen zu Mantel und Stecken.
Wulf hielt sich nicht lange damit auf, einen neuen Pfeil aus seinem Köcher zu ziehen. Vermutlich hatte er endlich begriffen, dass seinem Gegner mit dieser Waffe nicht beizukommen war. Stattdessen packte er nun wie mit unsichtbaren Klauen das Laufgitter, auf dem Trevir gerade die Ecken des Mantels zusammenraffte. Ein metallisches Ächzen ertönte, der Eisensteg riss einseitig aus seiner Verankerung und kippte auf den darunter liegenden Steg herab. Der Hüter des Gleichgewichts rutschte von der ebenfalls unsichtbaren, wenn auch viel profaneren Schwerkraft gezogen über das Gitter hinab und ehe er den ersten Wandelgang erreichte, wurde auch dieser aus der Wand gerissen. Samt Bücherbündel und Stab rollte Trevir in die Tiefe. Im Drehen stieß er sich irgendwo den Schädel und landete schließlich benommen mit seiner Beute am Boden der Rotunde.
Sofort versuchte er sich wieder hochzustemmen, aber in seinem Kopf drehte sich alles und sein Arm knickte wieder ein. Irgendwie rechnete er damit, von Wulf den Fangschuss zu erhalten, aber es war nur die vor Bosheit triefende Stimme, die ihn malträtierte.
»Ich dachte, ich hätte dir gesagt, dass du gegen mich keine Chance hast.«
»Als wenn es darum ginge«, meldete sich unvermittelt der Herr des Schwarzen Heeres zu Wort. »Unser junger Freund hat uns etwas viel Wichtigeres gezeigt. Jetzt wissen wir, welche Bücher Abacuck besonders am Herzen lagen.«
Trevir fuhr
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