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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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als wolle er seinem großen Freund zuhören, als dieser mit Entschlossenheit verkündete: »In ein paar Wochen werde ich in die Verbotene Stadt zurückkehren, um die Bücher zu bergen, mein kleiner Freund. Es gibt nur einen Tag, an dem der Plan gelingen kann. Eine zweite Chance haben wir nicht.«
     
     
    Für die meisten Posten des Schwarzen Heers war das Fiepen zu hoch, um es überhaupt wahrzunehmen, und für die übrigen zu unauffällig. Niemand bemerkte den Schemen, der ganz in der Nähe, fast eins mit der Dunkelheit, an ihnen vorüberhuschte. Von ihren Fackeln und Lagerfeuern hielt er sich fern. Er fand sich mit unglaublicher Sicherheit in der Finsternis zurecht, denn der lautlose Schatten hatte einen Helfer, der ihn sicher führte: eine Fledermaus.
    Orriks Zirpen warnte Trevir vor einem herabhängenden Mauervorsprung. Er wandte sich nach links. Ja, sagte das Fiepen seines winzigen Navigators, hier darfst du weitergehen. Die Längsachse der Britannischen Bibliothek und des mit ihr verbundenen Museums verlief von Südosten nach Nordwesten. Trevir hatte sich dem Komplex von Norden genähert. Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße befand sich ein grünes Areal, das einmal ein Park gewesen sein mochte, jetzt aber ein quadratischer Urwald von überschaubarer Größe war. Trevir kontrollierte noch einmal seine Hände. Nein, bis jetzt hatte das Glühen nicht eingesetzt. Selbst wenn er die Straße mit seiner Gabe hätte »überspringen« können, wäre es nicht klug gewesen, sich vorschnell zu verraten. Wulf könnte hier sein. Ob Molog überhaupt wusste, dass man Abacucks Vermächtnis nur in Verbindung mit einer Reihe anderer Bücher restlos deuten konnte? Falls ja, dann lauerte sein Wolf irgendwo in der Nähe und lauschte auf das Strömen im Energiefluss des Triversums. Die kleinste Turbulenz würde ihn die Witterung aufnehmen lassen.
    »Die Rotunde des Wissens ist eine hübsche Mausefalle. Findest du nicht auch, Orrik?«, flüsterte der Hüter des Gleichgewichts, während er den pelzigen Lotsen, der ihm im Nacken saß, mit dem Zeigefinger kraulte. Der Fledermäuserich enthielt sich jedes Kommentars.
    Nachdem Trevir sich lange umgesehen hatte, wagte er die Überquerung der rissigen und von Unkraut übersäten Straße. Sobald er den viereckigen Urwald erreichte, bewegte er sich wieder ganz langsam, um jedes Geräusch zu vermeiden. Auf diese Weise durchquerte er den einstigen Park und blickte nun auf die von Fackeln erleuchtete Hinterfront des Bibliotheks- und Museumsbaus. An dieser Stelle gab es nur einen Nebeneingang, der offenbar erst vor kurzem zugemauert worden war. Trevir lächelte. Das war dicht genug. Jetzt hieß es warten.
    Die Verurteilung zur Passivität war eine harte Strafe. Er konnte die Unruhe spüren, die ihn jedes Mal heimsuchte, bevor der blaue Glanz kam. Eigentlich hätte er in dieser Nacht am Ufer des Flusses Thames sitzen und still ins Wasser blicken sollen, um Kontakt mit seinen Drillingsbrüdern aufzunehmen. Vielleicht später noch, redete er sich ein. Das hier hatte Vorrang.
    Etwa eine halbe Stunde lang beobachtete er mal die auf und ab gehenden Posten, mal seine Hände. Dann setzte der bläuliche Schimmer ein. Trevir zog sich noch tiefer in das dichte Grün des verwilderten Parks zurück. Wenn er zu früh sprang, konnte er sich verraten, ohne sich vom Fleck bewegt zu haben, wenn er zu lange wartete, dann würde sein Glanz die Wachen alarmieren.
    Die Aura wurde heller. Er schloss die Augen, langte mit der rechten Hand in seine Hosentasche und umklammerte mit der linken Aluuins Stab. Sein Geist suchte nach dem Lesesaal. Es war wie ein Tappen durch dichten Nebel. So, als ahne man den richtigen Weg, war sich aber dennoch nicht sicher.
    »Schau mal da drüben, in dem Gestrüpp!«, rief plötzlich eine Stimme vom Bibliotheksbau her.
    Trevir riss die Augen auf. Sein Glanz war schon verräterisch hell. Durch die Zweige sah er zwei Posten, die ihre Hälse reckten und sich dabei langsam, mit gezückten Schwertern näherten. Erneut schloss er die Lider und beschwor in seinem Geist das Bild im Innern der Rotunde herauf. Viel zu langsam lichtete sich der Nebel.
    »Lass uns Verstärkung rufen«, sagte einer der Posten nervös.
    »Jetzt ist es weg«, erwiderte der zweite.
    Die letzte Äußerung der Wache drang hallend wie in einem langen Tunnel an Trevirs Ohr. Er öffnete die Augen. Unter ihm lag in hellem Licht die Rotunde des Wissens. Er war wunschgemäß auf dem obersten der zwei Laufgänge gelandet,

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