Die unsichtbare Pyramide
ließ ich mich nicht ins Boxhorn jagen. Wir haben sofort die Anker gelichtet und sind mit Volldampf hierher gerauscht.«
»Ganz schön riskant, Vater. Ich glaube nicht, dass der Amjib sich auf Dauer von einem neuen Namensschild und gefälschten Schiffspapieren täuschen lässt.«
»Die haben im Moment ganz andere Sorgen«, wiegelte Jobax ab. »Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, dass sich die Menschen an vielen Orten im Reich gegen den Tyrannen erheben. Im siebten oberbaqatischen Gau soll sich eine ganze Division der Armee den Rebellen angeschlossen haben. Isfet versucht die Unruhen blutig niederzuschlagen. In den Medien erfährt man natürlich nichts davon. Wenn du mich fragst, sind seine Tage gezählt, und das haben wir dir zu verdanken.«
»Mir?«
»Ja, der Funke, der das Pulverfass der Revolution zur Explosion gebracht hat, war dein Fernsehauftritt im Tempel der memphitischen Triade. Die Freischärler dachten, der Pharao sei von der einstürzenden Decke der Großen Säulenhalle erschlagen worden. Das gab ihnen den Mut, sich gegen die Regierungstruppen zu erheben. Glaub mir, mein Sohn, die Tage des Pharao sind gezählt.«
»Aber die volle Größe einer Kröte sieht man erst nach ihrem Tod.«
»Wie bitte?«
»Das ist ein Sprichwort der Teguar. Es bedeutet, dass man die Hintertriebenheit eines Menschen erst ermessen mag, wenn er gestorben ist und kein Unheil mehr stiften kann.«
»Woran denkst du dabei? Massenvernichtungswaffen? Meinst du, ein Herrscher könnte so abgefeimt und gewissenlos sein, dass er sein eigenes Volk ausrottet?«
»Es gibt nichts, das es nicht gibt. Deshalb muss man sich gegen alles wappnen.«
»Ist das auch ein Nomadenspruch?«
»Nein. Das stammt von mir. Ich musste gerade an etwas denken, das mir Fatima erzählt hat. Sie ist…«
»Die Hüterin des Wüstenorakels von Siwa. Ich weiß.«
Topras Mund stand offen. Der Name Fatima war nicht gerade eine Seltenheit. Wie konnte sein Vater so genau wissen, an wen er eben gedacht hatte? Ehe er seine Fassung wiederfinden und ihn danach fragen konnte, klopfte es an der Tür. Topra zuckte zusammen. Unweigerlich musste er an einen Sturmtrupp von Geheimpolizisten denken, der mit entsicherten Waffen draußen lauerte.
Der Kapitän schmunzelte nur. »Jetzt wirst du noch eine Überraschung erleben, mein Lieber.«
Timsah wusste offenbar schon, worum es dabei ging. Grinsend und mit ungeahnter Schnelligkeit war sie aufgesprungen und zur Tür gelaufen. Sie öffnete und ließ rasch zwei Besucher ein.
Dem äußeren Eindruck nach handelte es sich um einen Riesenmönch, dessen Gesicht unter einer Kapuze verborgen war, und um einen vermummten Teguar.
»Hobnaj und Asfahan!«, rief Topra, noch ehe die beiden sich demaskiert hatten. Er vergaß sogar seine lahmen Glieder und drückte sich vom Boden hoch. Überglücklich fielen sich die drei Gefährten in die Arme.
»Du hast uns einen Riesenschreck eingejagt«, sagte Hobnaj.
»Aber mutig wie ein Teguar die Kobra am Kopf gepackt«, fügte Asfahan lachend hinzu.
»Nicht ganz freiwillig«, gestand Topra mit ernster Miene ein. Er deutete zu den Kissen am Boden. »Nehmt Platz. Offenbar habt ihr meinen Wunschvater ja schon kennen gelernt.« Dankbar ergriff er die ihm von Jobax gereichte Hand und ließ sich ebenfalls nieder.
Hobnaj betrachtete die beiden mit einem wehmütigen Ausdruck. »Bei allem, was du inzwischen im Millionenjahrhaus erfahren und erlebt hast, spricht es für dich, mein Junge, den Kapitän weiterhin so zu nennen, obwohl ich es gut verstehen könnte, wenn auch Isfets Geschick dir nicht ganz gleichgültig ist. Wie ich sehe, trägst du immer noch den kastrierten Sklavenring.«
Topras Hand wanderte unwillkürlich zu dem Goldreif am Hals. »Abgesehen von meinem Leben ist er das einzige Geschenk, das mein leiblicher Vater mir aus freien Stücken gegeben hat.«
»Sagtest du nicht, Aabuwa hätte Isfet die Idee eingeflüstert?«
Topra grinste schief. »Soll ich meinem Erzeuger einen Vorwurf machen, weil es ihm an Einfallsreichtum mangelt? Ich habe beschlossen, den Bund zu tragen, bis die Bedrohung durch den Pharao abgewendet ist; vielleicht kann der Goldreif mir noch nützlich sein. Aber lasst uns über erfreulichere Dinge reden. Wie seid ihr euch begegnet, du, Asfahan und mein… Wunsch vater?«
»Ein Freund erzählte mir vor zwei Tagen von einer dreimastigen Dhau namens Disrath, die im alten Hafen angelegt hat, und von ihrem Kapitän. Ein paar Stunden später waren Jobax und ich Freunde.«
Der
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