Die unsichtbare Pyramide
Würde und benutzte lieber mondäne Transportmittel als große Reisegesellschaften für die Übersiedlung ins Totenreich.
Ehe ihr Schützling ganz in Lethargie verfallen konnte, wagte Timsah einen Aufmunterungsversuch. »Smendes von Hathor ist zuversichtlich, dass du Inukith retten kannst. Heute früh – du hast noch geschlafen – hat er kurz hereingeschaut und sich nach dir erkundigt. Er meinte, die ganze Leibwache des Pharaos könne dich nicht aufhalten.«
Topra blickte erstaunt auf. »Smendes von Hathor? Der weltberühmte Pianist? Sag bloß, er ist mein heimlicher Gönner!«
Timsah hielt sich die Hand vor den Mund. »O weh! Das hätte ich wohl lieber nicht ausplaudern sollen.«
»Warum habe ich nur den Eindruck, du hast mir seinen Namen absichtlich verraten?«
Timsah schmunzelte. »Vielleicht, weil es so ist. Jetzt bist du wieder aufgetaut. Iss was, Junge. Du musst zu Kräften kommen, wenn du dem Pharao die Stirn bieten willst.«
Mit einem Mal konnte Topra nicht mehr ruhig im Bett liegen. Wenn er Inukith retten wollte, dann musste er zurückkehren in die Welt, mit der er zehn Tage lang nur über Timsah Verbindung gehalten hatte. Nein, das stimmte nicht ganz. Es gab noch etwas anderes, das seinen Verstand davor bewahrt hatte, sich in Selbstvorwürfen und Resignation aufzulösen, um sich der Gnade des Wahnsinns zu überlassen.
Ächzend drückte sich Topra von der Matratze hoch. Seine Knie waren so weich wie Grießpudding. Unsicher lief er zum Fenster. Von dort hatten ihn in der Zeit seiner Blindheit die Geräusche des Hafens erreicht. Die Rufe der Seeleute, das Knarzen von Tauwerk, das Klappern der Takelagen – all das war ein Teil seiner Wirklichkeit und indem es ihn nicht verließ, hielt es ihn wie eine Sicherungsleine am Leben fest. Endlich erreichte er das schmale Fenster. Erschöpft stützte er sich an der Laibung ab, sah hinaus und atmete tief die Gerüche von brackigem Wasser, Fisch und Öl ein. Als sein noch etwas verschwommener Blick nach links schweifte, erstarrte er zunächst, dann knickten ihm die Beine weg und er landete mit einem Rums auf dem Dielenboden. »Das… gibt’s doch nicht!«, hauchte er und zog sich stöhnend am Fenstersims wieder hoch. Staunend sah er zum Kai hinüber. Es war kein Trugbild.
Die Tanhir lag tatsächlich im Hafen!
Bis auf die blaugrünen Segel hatte Kapitän Jobax’ Dhau wieder ihre normale braune Farbe. Auch war sie nun kein abjamah, kein Gepard, mehr, sondern ein »Mondauge« – das baqatische Wort dafür lautete Disrath. Für Topra stand jedoch außer Zweifel, dass er denselben Dreimaster vor sich sah, auf dem er den größten Teil seines Lebens verbracht hatte.
Der erste Impuls des einstigen Schiffsjungen war loszulaufen und die Dhau im Sturm zu nehmen. Bereits am Fußende seines Bettgestells besann er sich jedoch eines Besseren. Zwar hätte er seine wackligen Beine schon irgendwie dazu überredet, die schmale Stiege nach unten zu bewältigen und die Hafenmole zu überqueren, aber spätestens dort wimmelte es vermutlich von Amjibspionen.
»Timsah! Komm schnell!« Immer wieder rief er den Namen der Vermieterin. Sein Geschrei hallte durch das Haus. Vermutlich hörte man es bis auf den Hafendamm, aber darüber machte er sich nun wirklich keine Gedanken.
Endlich ertönte wieder das Knarren der Treppenstufen. »Was ist denn los!«, erscholl von unten ihre Stimme. Als sie endlich in der Tür von Topras Kammer stand, wirkte sie erhitzt. »Ich dachte, dir sei ein Auge ausgefallen, so wie du geschrien hast«, keuchte sie.
»D-da draußen!«, stammelte er und deutete zum Fenster.
»Was ist da?«
»Ein Schiff.«
»Na, das ist ja mal was Neues.«
»Die Tanhir.«
»Ist mir gar nicht aufgefallen.«
»Sie heißt jetzt ja auch Disrath.«
Timsah stemmte drohend die Fäuste in die Seiten und verlangte streng eine »verständliche Erklärung«. Mit einiger Mühe brachte Topra diese zusammen. Dann bat er die Witwe um einen Dienst.
Wenige Minuten später überquerte Timsah mit einem Einkaufskorb die Mole und baute sich vor der Gangway der Dhau auf. Argwöhnisch musterte sie den Laufsteg und kam zu dem Schluss, ihren gewichtigen Körper besser von ihm fern zu halten. Weiter hinten auf dem Deck erblickte sie einen stattlichen Seemann mit einer Ledermütze, der gerade das Achterhaus mit einem neuen Schutzanstrich versah.
»Ich hätte gerne einen dicken Fisch!«, schrie sie zu ihm hinüber.
Der Mann hielt in seiner Arbeit inne, nahm die Mütze ab und wischte
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