Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
Willen fügen, sonst war alles vergeblich. Hätte ich deine Mutter nicht an den rechten Ort bringen und dich mithilfe einer von mir bezahlten Kräuterhexe zur rechten Zeit auf die Welt holen lassen, dann wärst du ein Niemand. Ich habe dich erzogen und dir deine Gaben gezeigt. Vergiss das nicht, mein Sohn! Und jetzt gib mir endlich den Saphirdolch.«
    Wulfs grüne Augen wurden plötzlich groß. Er starrte über die Schulter seines Ziehvaters hinweg, hob die Hand mit dem Stilett und deutete mit der Spitze ins Halbdunkel des nördlichen Seitenschiffes. Dann hauchte er ein einzelnes Wort. »Geister!«
    Molog wandte sich um. Jetzt konnte auch er es sehen. Hinter den Säulen, dort wo Wulfs erwachender Glanz die Schatten noch nicht durchdringen konnte, huschten grün schimmernde Schemen durch die Dunkelheit. Ruckartig fuhr der Kopf des Kriegslords herum. Auch neben und hinter ihm befanden sich die kleinen Gestalten. Entsetzt schrie er nach den Wachen, aber niemand rührte sich. Als er zur Galerie hinaufschaute, lief ihm ein Schauer über den Rücken.
    Er zeigte nach oben. »Unsere Scharfschützen schlafen.«
    »Wie letztens die Soldaten in der Rotunde des Wissens.« Molog nickte. »Habe ich nicht gesagt, dass der verfluchte Kerl auftauchen wird?«
    »Ja, aber er hat uns ausgetrickst. Was führt er im Schilde?« Der Kriegslord zog sein Breitschwert aus der Scheide und deutete damit zum südlichen Ende des Trümmerringes. »Das wird er uns bestimmt gleich verraten.«
    Wulf fuhr herum. Unbändige Wut kochte in ihm hoch. Niemand anderer als sein verhasster Rivale stand dort auf einem Haufen Schutt, gestützt auf seinen albernen, knorrigen Stab, und blickte ihnen erhobenen Hauptes entgegen.
    »Ihr seid umzingelt. Legt die Waffen nieder, dann geschieht euch nichts!«, rief Trevir.
    »Einen Dreck werde ich tun, deinem Befehl zu gehorchen«, geiferte Wulf. Seine zornige Reaktion kam schnell und für alle Beteiligten unerwartet. Ehe sein Vater ihn zurückhalten oder Trevir in Deckung gehen konnte, hatte er schon seinen blauen Dolch gegen den Hüter geschleudert. Genau auf sein Herz. Mehr als pure Muskelkraft ließ die Saphirklinge mit tödlicher Treffsicherheit durch den Dom rasen. Anders war kaum zu erklären, wie sie sogar im Flug der ausweichenden Bewegung Trevirs folgen konnte, einem Falken gleich, der auf sein fliehendes Opfer herniederstößt. Das glitzernde Stilett bohrte sich zielsicher in Trevirs Brust. Allein die Wucht des Aufpralls reichte aus, um ihn hintenüberkippen und damit aus Wulfs und Mologs Augen verschwinden zu lassen.
    Zahllose Schreie des Entsetzens ertönten im Dom. Am lautesten klagte Dwina die hinter einer Säule aufsprang, sich mit beiden Händen die Haare raufte und fassungslos den Kopf schüttelte.
    Noch hatten Molog und sein Zögling sie nicht bemerkt. Der Kriegslord schäumte vor Wut. »Bist du von Sinnen!«, stieß er hervor.
    »Ich lass mich doch von diesem Laffen nicht bedrohen«, verteidigte Wulf sein impulsives Handeln. »Außerdem wolltest du ihn doch sowieso töten.«
    »Ja, ich wollte es tun. Hier auf dem Altar«, schrie Molog. In seinem zornroten Gesicht traten die Adern hervor. Mit einer herrischen Geste deutete er auf den Schutthügel, hinter den der Getroffene samt Dolch in der Brust gefallen war. »Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Hol ihn sofort her!«
    Wulf blinzelte. Er brauchte einen Moment, um den Befehl zu begreifen. Aber dann handelte er schnell mit der unvorstellbaren Kraft seines Geistes. Noch ehe die Badda im Umkreis ihren Schrecken überwunden hatten, rutschten die schweren Steinbrocken wie von Zauberhand zur Seite. Ein Schweif aus Staub und kleineren Bruchstücken flog auf das Zentrum des Doms zu. An seiner Spitze raste wie ein blauer Komet der Saphirdolch heran. Einen Augenblick später lag die im Flammenschein glänzende Klinge auf dem Altar. Wulf starrte die blutige Spitze des Stiletts an, Molog die Stelle, an der er einen sterbenden jungen Mann vermutet hatte. Sie war leer.
    »W-wo ist er geblieben?«, stotterte der Kriegslord.
    »Abgehauen«, knurrte Wulf. Er wollte sich wieder den Dolch greifen, doch diesmal war Molog schneller.
    Von allen Seiten ertönte nun ein feindseliges Zischen. Aus den Schatten tauchten jene hässlichen, großäugigen, kahlen Zwerge auf, die das Schwarze Heer seit Monaten mit ihren nächtlichen Überfällen zermürbt hatten, die Erdgeister, wie sie die Soldaten furchtvoll nannten.
    »Mörder!« Die anklagende Stimme hallte von den Wänden des

Weitere Kostenlose Bücher