Die unsichtbare Pyramide
Moment völlig benommen. Zuerst glaubte er eine Spiegelung zu sehen, so ähnlich waren sich der schemenhafte Raum, aus dem Topras Hand zu ihm nach Trimundus reichte, und jene andere Kammer, die er nun erblickte. Auch sie bebte. Staub und kleinere Bruchstücke rieselten von der Decke. Und auf dem Altar lag…
»Francisco!«, keuchte Trevir. Arme und Beine des Drillings wurden von merkwürdigen Metallfesseln zusammengehalten, die mit Klammern am oberen Rand des schwarzen Blocks befestigt waren. Er bewegte sich nicht. War er tot? Hatte auch ihn jemand niedergestochen so wie Wulf? Hektisch suchte Trevir nach Blut, aber er konnte keines entdecken. Und dann sah er, wie Franciscos Brustkorb sich hob. »Francisco!«, riefen noch einmal Trevir und Topra wie aus einem Munde.
Und der Gerufene schlug die Augen auf.
»Wer ist da?«
»Ich bin’s. Trevir. Dein Bruder aus Trimundus«, antwortete das Oberhaupt des Dreierbunds ihm. »Außerdem ist da noch Topra von… Ich weiß nicht, wie seine Welt heißt. Ich dachte, du wärst tot.«
Francisco drehte den Kopf, stutzte einen Moment und nun schien er Trevir zu sehen. »Ich dachte erst, meine Sinne spielen wieder verrückt. Vicente will mir sein Stilett ins Herz stoßen. Vielleicht erschlägt mich vorher auch die Decke. Hier bebt alles.«
»Ein Stilett, sagst du? Hat dieser… Vicente einen blauen Saphirdolch?«
»Ja, woher weißt du…?«
»Dafür haben wir keine Zeit, mein Bruder. Kannst du Topra hier neben mir sehen?«
»Natürlich! So deutlich wie eine Leuchtreklame.«
»Ich kann mich ihm nicht verständlich machen.«
»Kein Wunder. Du sprichst Englisch, er Altägyptisch.«
»Wie auch immer. Erkläre ihm, dass in meiner Welt, in Trimundus, jemand einen mobilen Schwingungsknoten des Triversums getötet hat.«
»Was soll ich ihm sagen?«
»Wulfweardsweorth! Er ist von unserer Art gewesen, aber Molog hat ihm einen Saphirdolch in die Brust gestoßen.«
»O Gott!« Franciscos Blick wechselte zu Topra. Er sprach langsam Worte, die er in seinem Gedächtnis erkennbar mühsam zusammensuchen musste, aber Topra nickte verstehend und antwortete sofort. Sich wieder an Trevir wendend, übersetzte Francisco: »Etwas Ähnliches hat sich auch hier auf Anx zugetragen, aber ich konnte dem Anschlag entgehen. Wenn wirklich wahr ist, was du gesagt hast, dann sind wir verloren.«
»Nein, wir dürfen nicht aufgeben«, widersprach Trevir und Francisco übersetzte. »Es muss einen Weg geben, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Ich habe hier ein Buch, das genau vor der Situation warnt, in der wir uns befinden. Gibt es nicht in eurer Welt etwas Ähnliches, irgendein überliefertes Wissen, das uns sagt, wie wir die drei Welten retten können?«
»Die Kammer des Wissens«, übersetzte Francisco die Antwort Topras.
»Eine Kammer? Wir haben keine Zeit, nach einer Kammer zu suchen«, jammerte Trevir.
»Warum suchen?«, fragte Francisco spontan. »Ich liege mitten in dieser Kammer drin und anscheinend existiert eine Kopie davon, in der sich Topra in diesem Moment befindet. Es gibt da nur ein Problem.«
Topra stöhnte. »Und das wäre?«
»Ich würde Wochen brauchen, um die Inschriften hier zu übersetzen. Die Wände sind voll davon. Nicht mehr lang allerdings, denn die Kammer kann jeden Moment einstürzen.«
»Frag Topra!«, verlangte Trevir. »Vielleicht kann er uns weiterhelfen.«
Francisco gehorchte und je länger er anschließend Topras Antwort lauschte, desto aufgeregter wirkte er. »Trevir!«
»Ich bin hier, Francisco.«
»Einen Moment. Mir wird schon wieder übel.«
»Was hat Topra gesagt, Francisco?«
»Er kann mir die Stelle zeigen, wo das ›Ritual der Verschmelzung‹ beschrieben wird. Sie befindet sich an der Wand links von mir, jenseits des Bassins, gleich neben Imhoteps Namenskartusche, wo auch das Emblem der Unsichtbaren Pyramide versteckt sein soll.«
Der Kopf des Hüters ruckte kurz nach oben, weil er unwillkürlich an die »sehende Pyramide« auf der Flüsternden Galerie denken musste. Jetzt klaffte an der Stelle ein Riss, der – Trevir gefror das Blut in den Adern – sich bis zum Boden zog, ja sogar bis zum Altar, wo Dwina immer noch standhaft neben Wulfs Leichnam ausharrte. Noch zwei weitere dunkle Spalten hatten die Marmorplatten gesprengt und strebten unter dem Toten in verschiedene Richtungen davon. Trevir sah Francisco fest in die Augen. »Kannst du die Inschrift von dir aus lesen?«
»Nein, ich hab es gerade versucht. Da ist zu viel Staub und vor meinen
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