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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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seinem Beispiel und erschrak. Auch der Rückzug war versperrt, ebenfalls von zwei Männern mit Furcht einflößenden Messern. Einer hatte ein schmales Gesicht, dessen Spitzheit von einem Ziegenbart besonders betont wurde. Es war derselbe Unbekannte, der Topra schon am Kai mit versteinerter Miene angestarrt hatte.
    »Die Grimasse kenne ich«, murmelte er.
    »Was?«, stieß Jobax hervor.
    Topra zeigte auf den Mann. »Der Kerl da, der aussieht wie ein Ziegenbock, hat mich schon bei der Rauferei so komisch angesehen.«
    Der Kapitän zischte etwas Unverständliches, dann überraschte er Freund und Feind durch eine unerhörte Tat: Mit wenigen langen Sätzen war er bei dem großen Holztor, packte den schweren Türklopfer und riss ihn scheinbar mühelos aus der Verankerung. Den Kopf des Nashorns unter den Arm geklemmt, stürmte er auf die beiden zuerst erschienenen Gegner zu. Topra drückte sich verängstigt an die Mauer und starrte mit großen Augen auf seinen Vater. Fast gleichzeitig sausten ein Dolch und ein Rhinozeros durch die Luft. Jobax duckte sich unter der Klinge hinweg und seine Behelfsstreitkeule traf den Kontrahenten in die Rippen. Ein widerwärtiges Knacken ertönte. Der Mann keuchte, wurde puterrot und sackte bewusstlos zusammen.
    Sein Kumpan preschte derweil blindlings weiter voran. Er schien ganz von dem Gedanken beseelt, den Kapitän aufzuschlitzen, bevor es die anderen – fast schon eingetroffenen – Mitstreiter tun konnten. Dabei war dem Angreifer offenbar entgangen, dass Jobax sich beim Wegtauchen unter der Klinge des Kameraden eine weitere »Waffe« beschafft hatte. Während sich der Messerschwinger mit Gebrüll auf den Gegner stürzte, traf ihn eine Ladung Pferdemist mitten ins Gesicht. Die biologische Gegenattacke sorgte bei ihm für ein gewisses Maß an Überraschung und Ekel, wodurch er praktisch widerstandslos in Jobax’ »Rhinozeroshammer« rannte.
    Der Feind hatte damit die Hälfte seiner Schlagkraft eingebüßt.
    Fast zu spät bemerkte Topra, dass er und sein Vater nun von der anderen Seite in Bedrängnis gerieten. Der Ziegenbock und sein Begleiter waren an Ort und Stelle. Jobax hatte sie noch nicht gesehen. »Achtung!«, rief Topra, um seinen Vater zu warnen, und warf sich zugleich dem Spitzbart in den Weg. Der Jüngste in der Arena hatte nicht wirklich die Absicht, gegen einen bewaffneten Gegner anzutreten, nur ein wenig aufhalten wollte er den Mann.
    Der hagere und nicht sehr große Unbekannte war jedoch äußerst beweglich. Die Klinge sauste durch die Luft. Topra beugte sich nach hinten, um ihr auszuweichen, doch ehe er sich’s versah, hatte der Ziegenbock ihm mit dem Fuß die Beine weggeschlagen. Der Junge fiel rücklings zu Boden, spürte einen dumpfen Schlag am Hinterkopf und blieb benommen liegen. Während er gegen Übelkeit und Ohnmacht ankämpfte, hörte er plötzlich einen paradiesischen Gesang. Fühlte es sich so an, wenn man das Bewusstsein verlor?
    Der Himmelschor schien direkt über der Gasse zu schweben. Unwillkürlich blickte Topra nach oben, konnte jedoch keine Engelsscharen, sondern nur das hässliche Gesicht des Ziegenbocks sehen. Der Mann hatte ihm wohl gerade die Kehle durchschneiden wollen, war aber aufgrund des himmlischen Interludiums ins Zaudern geraten. Dem Jungen fiel in diesem Moment höchster Not nichts Besseres ein, als dem Beispiel seines Vaters zu folgen. In Ermangelung eines Pferdeapfels schlossen sich Topras Finger um eine Hand voll Straßenstaub, den er seinem Widersacher in die Augen schleuderte.
    Ein wütender Aufschrei mischte sich in den überirdischen Gesang. Der unten Liegende nutzte den Moment der Verwirrung und trat dem Ziegenbock ans Kinn. Damit landete er einen Glückstreffer, denn der Dolchmann kippte um wie ein nasser Sack und blieb reglos liegen.
    Jetzt gab es nur noch einen Angreifer. Aber was für einen! Gerade bedrängte er den Kapitän. Der Mann war groß, kräftig gebaut und bewegte sich trotzdem so geschmeidig wie ein Leopard. Die sphärischen Gesänge aus dem Irgendwo schienen ihn nicht im Geringsten zu verunsichern. Seine Klinge glich einer Kobra, die angespannt lauerte und dann vorschnellte, wartete und zuschlug, sich drohend erhob und niederfuhr. Noch konnte ihr Jobax ausweichen, obschon er gezwungen war, sich immer weiter zurückzuziehen. Wenn er den Nashornkopf schwang, musste er seinen Arm in die Reichweite des Dolches bringen, und mit Entsetzen sah Topra, wie sein Vater gerade mit knapper Not einer Riposte des Kraftprotzes entkam.

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