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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Heißsporne appelliert. Die kreischten und fauchten wie zwei miteinander kämpfende Karakals. Nun waren es aber keine Wüstenluchse mit dickem Fell, sondern nur vergleichsweise dünnhäutige Jungen. Als daher die Fäuste flogen, Füße traten und Haare ausgerissen wurden, geriet die Streitlust der beiden zu einer unerwartet schmerzhaften Angelegenheit. Selbst die Kleidung der Kämpfer musste leiden. Plötzlich machte es ratsch! und Topra stand mit nacktem Oberkörper da.
    Es war, als hätte der schwarze Junge mit der Tunika seines Gegners auch die turbulente Stimmung zerrissen. Schlagartig wurde es still. Selbst die beiden Streithähne hielten inne. Aus der Zuschauerschaft drang leises Flüstern. Unter der Armbeuge des Kontrahenten hervor sah Topra, wie mehrere Finger auf ihn zeigten – genau genommen galt das aufgeregte Deuten seinem linken Schulterblatt. Für die Dauer eines Wimpernschlags kreuzten sich die Blicke des Jungen mit denen eines hellhäutigen Mannes, dessen Gesicht an einen Ziegenbock erinnerte. Der Unbekannte stand reglos da und starrte mit versteinerter Miene auf Topras Rücken. Als er sich der Aufmerksamkeit des Halbwüchsigen bewusst wurde, verschwand er in der Menge.
    Im nächsten Moment spürte Topra einen zangenartigen Griff im Nacken. Der Schiffsjunge und das Langhemd wurden auf die Füße gezerrt. Die so kräftig zupackenden Hände gehörten, wie sich schnell herausstellte, Jobax.
    »Bedecke dich! Schnell!«, zischte der Kapitän seinen Ziehsohn an.
    Der gehorchte umgehend, wenn auch mürrisch. Während er sich die Reste seiner zerrissenen Tunika über die Schultern legte, stellte sich schon Reue ein. Für seine Streitlust gab es keine Entschuldigung, das war niemandem klarer als ihm selbst (von den neun Matrosen an Bord der Tanhir wurde Topra eher wegen seines sanftmütigen Wesens geschätzt). Was war nur in ihn gefahren? Und wieso machte sich Jobax solche Gedanken um die Blöße seines Sohnes, anstatt ihn wegen der Rauferei zu tadeln?
    Sein Vater entschuldigte sich derweil bei dem anderen Jungen. Er bot ihm sogar eine Wiedergutmachung an, aber das Langhemd behauptete mit spöttischem Grinsen, ihm sei die Abreibung, die er dem Schiffsjungen habe verpassen dürfen, Entschädigung genug.
    »Von wegen Abreibung«, brummte Topra, nachdem die Gegenpartei abgezogen war und die Menschentraube sich aufgelöst hatte. »Hast du seine Nase gesehen, Vater?«
    »Ließ sich kaum vermeiden«, erwiderte Jobax. Seine Mundwinkel zuckten, als amüsiere ihn die Vorstellung daran, aber seine folgenden Worte klangen streng. »Du hast keinen Grund, auch noch stolz zu sein, Topra. Ein Mann muss sich zu beherrschen wissen.«
    »Aber er hat die Tanhir eine gestrandete Walkuh genannt.«
    »Was? Das ist ja…!«
    »Und eine trächtige Seegurke.«
    »Hast du die Nase des Jungen eigentlich gebrochen oder nur platt gehauen?«
    »Kann ich nicht genau sagen.«
    »Es ist immer von Vorteil, die Verfassung seines Gegners zu kennen.«
    »Ich werd es mir merken, Vater.«
    »Gut. Da gibt es noch ein paar andere Dinge, die du lernen musst. Aber das können wir unterwegs besprechen.«
    Topra stöhnte. »Hast du immer noch nicht genug eingekauft?«
    »Keine Sorge, damit sind wir durch. Ich muss noch einen Geschäftsmann treffen, der uns hin und wieder eine Ladung verschafft. Sein Kontor ist nicht weit von hier. Außerdem brauchst du etwas Neues zum Anziehen. Du siehst aus wie durchgekaut und ausgespuckt.«
    Topra betastete vorsichtig sein linkes Auge, ließ vor Schmerz aber schnell wieder davon ab. Mit einem säuerlichen Lächeln erwiderte er: »Na dann kann’s ja nicht so schlimm sein. Fühlen tu ich mich nämlich wie ausgespuckt und noch mal durchgekaut.«
    Jobax warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. »Das geschieht dir recht, mein Lieber! Manchmal ist Fühlen eben doch besser als Hören. Lass dir das eine Lehre sein.« Plötzlich verdüsterte sich seine Miene und er fügte beschwörend hinzu: »Tu mir einen Gefallen und bedecke in Zukunft immer deine Schultern, hörst du?«
    Die beiden machten sich an die Durchquerung des Marktes.
    Eine Weile sann der Schiffsjunge über die ungewohnte Schamhaftigkeit des Kapitäns nach. Auf See schien es Jobax nicht zu stören, ob sein Zögling mit freiem Oberkörper über das Deck turnte. Aber hier… Topra holte tief Luft. »Was ist so schlimm daran, wenn ich mal nur in der Hose herumlaufe, Vater? Andere tun das doch auch.«
    Jobax beugte sich zum Ohr seines Zöglings herab, um

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