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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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rechnen, dass einer verrückt genug sein könnte, über die steilen Klippen zur Zinne emporzusteigen. Trevir verfügte in derlei halsbrecherischer Akrobatik über einschlägige Erfahrungen, weil er auf der Insel der Stürme oft über schroffe Felsen geklettert war, um blökende Ausreißer einzufangen.
    Leider hatte er seit dem Verlassen von Sceilg Danaan nie wieder einen so erstaunlichen »Sprung« zustande gebracht wie am Tag seiner Initiation, als er Dwina nachgejagt war. Erst in letzter Zeit glaubte er in sich wieder das Erwachen einer Kraft zu spüren, die er noch nicht richtig einordnen, geschweige denn lenken konnte. Gerade hatte er noch einmal im Wald versucht, von einem Fleck zum anderen zu »springen«, ohne dabei seine Beine zu bewegen. Erfolglos. Er würde wohl oder übel zu Molog hinaufklettern müssen.
    Als die Sonne dicht über dem Horizont stand, stieß er entschlossen Aluuins Stab in den weichen Waldboden. Der hölzerne Begleiter würde hier auf seinen jungen Herrn warten müssen, da er ihm beim Klettern nur hinderlich wäre. Zuletzt hängte Trevir die Scheide seines Messers an den knorrigen Knauf. Gegen Mologs Krieger konnte er mit einem Dolch ohnehin nichts ausrichten, weshalb er es für klüger hielt, sich möglichst harmlos zu geben. Seine wirksamsten Waffen waren sowieso von ganz anderer Art und nur für Eingeweihte als solche zu erkennen.
    Außer Sichtweite der Burg bahnte er sich einen Weg zu den Klippen. Dort stieg er fast bis zum Wasser hinab. Nun wurde es schon schwieriger. Um sich der Burg zu nähern, musste er sich einen Pfad suchen, wo es keinen gab. Mal stieg Trevir wieder ein Stück nach oben, dann wieder hinab. Für eine Strecke von knapp einer Meile brauchte er fast eine Stunde. Die Sonne war bereits untergegangen, als er die Steilwand unterhalb der finster aufragenden Festung in Angriff nahm. Sollte er auch jetzt langsamer als erwartet vorankommen, würde die Dunkelheit ihn mitten in den Klippen erwischen. Dann wäre er unweigerlich verloren, denn in der Wand gab es keine sichtbaren Nischen oder Absätze, in denen man sich ausruhen und schon gar nicht schlafen konnte.
    Unverzüglich machte sich Trevir an den Aufstieg. Seine Kleidung – ein Geschenk des Baders – war für solche Zwecke besser geeignet als das Habit des Dreierbunds. Er trug eine weite Hose aus ungefärbtem Hirschleder und darüber eine kurze Tunika aus, ebenfalls brauner, Wolle. Nur die dazu passenden weichen Stiefel hätten etwas mehr Halt geben können. Sie waren zu groß, weshalb Trevir ihre Schäfte mit einem um die Waden gewickelten Band am Bein fixiert hatte. Er ließ sich von derlei Erschwernissen aber nicht entmutigen, sondern erklomm geschickt den unteren Abschnitt der Felswand.
    Die Dämmerung tauchte die nach Osten ausgerichtete Klippe rasch in tiefe Schatten, was dem Kletterer zunehmend Sorge bereitete. Ein paarmal musste er mulmige Momente meistern, wenn er seine Stiefelspitzen in eine Spalte steckte, ohne seine Zehen hineinzubekommen. Doch seine Entschlossenheit wurde belohnt und endlich erreichte er den Fuß der Befestigung.
    Das Baumaterial der Mauer stammte offenbar aus der nahen Umgebung. Bevor die Steine aufeinander gefügt worden waren, hatte man ihnen wenig Sorgfalt angedeihen lassen: Sie waren voller Risse, Nasen und Vertiefungen, mithin ein ideales Terrain für einen erfahrenen Kletterer. Trevir fand im schwindenden Licht des Tages genügend Griffe und Tritte, um sich weiter nach oben zu arbeiten. Immer wieder blickte er nun zur Zinne hinauf. Ab und zu glaubte er dort Bewegungen auszumachen, aber die ihm zum Schutz gereichende Dunkelheit verbarg auch seine Gegner. Als er schon dicht unter der Zinne war, hörte er plötzlich eine aufgeregte Stimme, die ihn erstarren ließ.
    »Was war das, Acwulf?«
    »Keine Ahnung, wovon du sprichst, Kamerad«, antwortete ein ungewöhnlich raues Organ.
    »Schläfst du etwa schon? Du hättest es doch bemerken müssen.«
    »Heahfrith! Wenn du was zu melden hast, dann spuck es aus«, knurrte das Reibeisen.
    »Aber du hast doch in dieselbe Richtung geschaut wie ich. Das Licht, Mann! Ist es dir tatsächlich nicht aufgefallen?«
    Die Augen des an der Mauer klebenden Lauschers sprangen hektisch hin und her. Sie suchten am Rest des Körpers nach verräterisch blau schimmernden Flecken, entdeckten aber zu seiner großen Erleichterung nichts dergleichen.
    »Gleich ist Wachwechsel, Heahfrith. Ich bin müde und hungrig. Wenn du nicht auf der Stelle damit rausrückst, was du

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